Wie werden unsere Nutzer auf RDA reagieren?

Ein chronisch unterbelichteter Bereich ist das Nutzerverständnis bzw. -unverständnis unserer Erschließungsdaten. Größer angelegte, systematische Untersuchungen sind leider Mangelware; zumeist beruhen unsere Ansichten auf Kontakten mit einzelnen Nutzern im Informationsdienst oder in Schulungen. Dieser Mangel an einer wissenschaftlich fundierten empirischen Basis ist umso bemerkenswerter, als wir die Nutzer und ihre Bedürfnisse gerne und häufig im Munde führen. Ich bin deshalb immer sehr dankbar, wenn ExamenskandidatInnen einen kleinen Beitrag zur Nutzerforschung leisten. Gerade hat sich Melanie Kohlhaw damit beschäftigt, wie bestimmte Änderungen durch RDA bei unseren Nutzern 'ankommen'. Ihre Bachelorbeit ist auf dem OPUS-Server der Hochschule der Medien abrufbar.

Abbildung der Titelseite der Bachelorarbeit von Melanie Kohlhaw
Die Bachelorarbeit von Melanie Kohlhaw

Die Bearbeitungszeit einer Bachelorbeit beträgt an der HdM drei Monate. Entsprechend kann immer nur ein kleiner Ausschnitt bearbeitet werden, was die Ergebnisse natürlich etwas relativiert. Die von Frau Kohlhaw betrachtete Nutzergruppe waren Studierende der Universität Stuttgart. 15 von ihnen wurden in einem Interview befragt. Bei den meisten Fragen wurden den Probanden "Vorher-nachher"-Bilder vorgelegt. Auf dem "Nachher"-Screenshot war jeweils ein Detail RDA-gemäß verändert worden. Hier eine Auswahl der Ergebnisse:

Mit Beispiel B (S. 40-48) sollte herausgefunden werden, ob die vorlagegemäße Übernahme von Personalangaben in einer Verantwortlichkeitsangabe von den Nutzern als Verbesserung betrachtet oder eher als störend empfunden wird. Im zugrunde liegenden Beispiel (das übrigens auch im Lehrbuch enthalten ist: Beispiel 13-6) stehen in der Verantwortlichkeitsangabe nicht nur die akademischen Titel der drei Autoren, sondern auch umfangreichen Angaben, wo und in welcher Position sie tätig sind (s. Abbildung).

Abbildung der Titelseite von Beispiel B
Titelseite von Beispiel B

In einem ersten Schritt sollten die Testpersonen eine RAK-gerechte (also nur die Namen enthaltende) Variante mit einer zweiten Version vergleichen, bei der auch die akademischen Titel angegeben waren. Bei der Beurteilung der beiden Varianten herrschte nahezu Gleichstand: Acht Studierende fanden die Version mit den akademischen Titeln besser, sieben die ohne die Titel. Eine dritte Version, bei denen auch noch die Angaben zu Position und Affiliation vollständig übertragen worden waren, wurde hingegen von allen Befragten abgelehnt. Der Text erschien ihnen dann einfach zu lang und unübersichtlich. Dies spricht also durchaus dafür, bei sehr langen Verantwortlichkeitsangaben von der Möglichkeit zur Kürzung (RDA 2.4.1.4 D-A-CH) Gebrauch zu machen – nicht nur aus Gründen der Arbeitsersparnis, sondern auch, um den Nutzern ein gut lesbares Katalogisat anzubieten.

Screenshot mit der D-A-CH AWR zu 2.4.1.4, die bei umfangreichen Verantwortlichkeitsangaben eine Kürzung ermöglicht
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

Bei Beispiel H (S. 85-91) wurden Abkürzungen thematisiert: Eine Variante mit "127 S. : Ill., graph. Darst., Kt." wurde einer zweiten mit "127 Seiten : Illustrationen, Diagramme, Karten" gegenübergestellt. Zuerst wurde den Interviewten die RAK-Version vorgelegt; sie sollten die Abkürzungen "Ill." und "Kt." auflösen. Mein lang gehegter Verdacht, dass "Kt." für Normalsterbliche völlig unverständlich ist, wurde dabei eindrucksvoll bestätigt: "Katalog" und "Karton" waren die häufigsten Antworten. Die knappe Hälfte der Befragten konnte auch mit "Ill." nichts anfangen. Alle waren sich einig, dass die Variante mit den ausgeschriebenen Wörtern die bessere ist. Interessant wäre für mich noch gewesen, ob die Auflösung von "S." in "Seiten" als ebenso wichtig betrachtet wird wie das Ausschreiben der Begriffe in der Illustrationsangabe.

In Beispiel F (S. 70-74) ging es um eine RDA-Regel, die ich persönlich für sehr problematisch halte: Ist in der Ressource kein explizites Erscheinungsdatum angegeben, sondern nur ein Copyright-Jahr, so wird dieses als ermitteltes Erscheinungsdatum verwendet. Dies haben wir bisher eigentlich auch so gehandhabt und sind davon ausgegangen, dass das Copyright-Jahr mit dem Erscheinungsjahr übereinstimmt (sofern es nicht Indizien gibt, die dagegen sprechen). Neu ist nun aber, dass das Jahr in einem solchen Fall eckig geklammert werden muss, um es als ermittelt zu kennzeichnen.

Den Studierenden wurde ein entsprechendes Katalogisat und eine Kopie des Impressums aus dem Buch vorgelegt. Das Ergebnis kann nicht wirklich überraschen: "Keiner der Studenten konnte erklären, warum die Jahreszahl (…) in eckige Klammern gesetzt wurde" (S. 73). Spekuliert wurde u.a., dass die eckigen Klammern auf eine erste Auflage hinweisen könnten oder darauf, dass das Buch "nur in dem Jahr aktuell ist, das in der Klammer steht" (S. 74). Auch nachdem ihnen der Hintergrund erklärt worden war, konnten sich die Probanden nicht für die Praxis erwärmen: "Ich glaube, das blickt kein Mensch" (S. 74).

Trösten können wir uns allerdings damit, dass den Befragten das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von eckigen Klammern herzlich egal war. Vermutlich hätten die meisten die Klammern gar nicht wahrgenommen, wenn man sie nicht darauf hingewiesen hätte.

Heidrun Wiesenmüller

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