Drei Minuten RDA: Filme

Jüngst bin ich gefragt worden, wer denn eigentlich der geistige Schöpfer eines Films sei - der Regisseur vielleicht? Oder der Drehbuchschreiber? Tatsächlich geht RDA nur in seltenen Fällen davon aus, dass man bei Filmen einen geistigen Schöpfer im normalen Sinn identifizieren kann. Das ist dann der Fall, wenn eine Person praktisch im Alleingang für den gesamten Film verantwortlich ist. Dann wird die Beziehungskennzeichnung "Filmemacher" aus Anhang I.2.1 vergeben. Bei normalen Bibliotheksmaterialien dürften derartige Produktionen nur höchst selten vorkommen, aber auf Youtube findet man sicher zahllose Beispiele dafür.

Definition von "Filmemacher" aus Anhang I.2.1
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

Normale Filme aber haben so viele Mütter und Väter, dass es nicht wirklich sinnvoll ist, von geistigen Schöpfern zu sprechen. Entsprechend besteht der normierte Sucheinstieg für ein Filmwerk nur aus dem bevorzugten Titel des Werks (RDA 6.27.1.3 Ausnahme für Bewegtbildwerke) und ggf. einem oder mehreren unterscheidenden Merkmalen (z.B. kann man zur Unterscheidung mehrerer gleichnamiger Verfilmungen ihre Entstehungsjahre verwenden). In der RAK-Terminologie entspricht dies einem "Sachtitelwerk".

Screenshot von RDA 6.27.1.3 Ausnahme
Screenshot aus dem RDA Toolkit (www.rdatoolkit.org), verwendet mit Genehmigung der RDA-Verleger (American Library Association, Canadian Library Association und CILIP)

Verantwortliche Personen wie Filmregisseure, Filmproduzenten und Bildregisseure sind zwar auf der Ebene des Werks angesiedelt, aber eben nicht als geistige Schöpfer, sondern als "sonstige Personen, Familien und Körperschaften, die mit einem Werk in Verbindung stehen" (RDA Anhang I.2.2). Auch den Drehbuchschreiber würde man in dieser Gruppe erwarten; merkwürdigerweise gibt es diese Beziehungskennzeichnung derzeit aber nur für geistige Schöpfer (RDA Anhang I.2.1). Man darf sie also nur verwenden, wenn man das Drehbuch selbst katalogisiert, nicht aber, wenn man den Film katalogisiert. Schon vor längerem ist dieses Problem auf der RDA List diskutiert worden, und ein amerikanischer Kollege hat einen Vorstoß gemacht, um die Beziehungskennzeichnung von I.2.1 nach I.2.2 zu verschieben (denn wenn man das Drehbuch selbst katalogisiert, täte es die Beziehungskennzeichnung "Verfasser" doch genausogut). Dieser Wunsch scheint aber irgendwo in den Gremien steckengeblieben zu sein. Vielleicht sollten wir versuchen, ihn nochmals als "Fast track"-Änderung der deutschen Community einzureichen. Vorläufig ist die Situation jedenfalls etwas unbefriedigend, weil man für den Drehbuchschreiber nur den Namen des Elements als Beziehungskennzeichnung verwenden kann. Dies entspricht der allgemeinen Regelung in RDA 18.5 D-A-CH: "Gibt es im Anhang I keine passende Beziehungskennzeichnung oder besteht Unsicherheit über die genaue Funktion der Person, Familie oder Körperschaft, so vergeben Sie stattdessen den Elementnamen der erfassten Beziehung als Beziehungskennzeichnung (also z. B. "geistiger Schöpfer" oder "Mitwirkender")." Weitere Personen, die für Filme relevant sind (z.B. Schauspieler und Kostümbildner), sind der Ebene der Expression zugeordnet, gelten also als "Mitwirkende" (RDA Anhang I.3.1).

Die bevorzugte Informationsquelle bei einem Film ist gemäß der Grundregel das Titelbild bzw. der Titelbildschirm (RDA 2.2.2.3 mit D-A-CH). Man müsste beim Katalogisieren den Film also tatsächlich starten. Das wäre nicht nur zeitaufwendig, sondern würde auch bedeuten, dass alle nötigen Abspielgeräte vorhanden sein müssen. Wir haben uns deshalb für die Alternativregel entschieden: Bei Filmen auf physischen Datenträgern nimmt man die Beschriftung oder das Etikett, das auf der Ressource selbst fest angebracht ist (z.B. direkt auf die DVD aufgedruckt oder aufgeklebt) als bevorzugte Informationsquelle. Man muss sich also merken, dass man zuerst auf die Scheibe selbst schauen muss und nicht auf das Behältnis.

Bei Filmen kommen öfter Formulierungen wie "Disney presents" vor dem eigentlichen Titel. Diese lässt man beim Haupttitel weg, kann aber die vollständige Angabe als abweichenden Titel erfassen (RDA 2.3.1.6 mit D-A-CH). Aufgrund der Streichung der Elemente 7.23 und 7.24 darf man nun alle verantwortlichen Personen und Körperschaften in normalen Verantwortlichkeitsangaben angeben und muss nicht zwingend manche davon in einer Anmerkung aufführen. Letzteres macht aber natürlich in einigen Fällen weiterhin Sinn, z.B. bei der Aufzählung der Besetzung.

Als Inhaltstyp (RDA 6.9) wird bei Filmen "zweidimensionales bewegtes Bild" bzw. "dreidimensionales bewegtes Bild" vergeben - das ist aber sicher nichts, was man den Benutzern genau in dieser Form anzeigen sollte. Der Medientyp (RDA 3.2) eines Films ist "video", wenn er in erster Linie zum Abspielen in einem Video-Abspielgerät (z.B. DVD-Player) gedacht ist, bzw. "projizierbar" (z.B. bei einem Super-8-Film); ein Youtube-Filmchen würde hingegen unter "Computermedien" fallen.

Bei Filmen kann man sehr viele unterschiedliche RDA-Elemente belegen; hier eine Auswahl davon: Sind bei einem Film Tonspuren oder Untertitel in verschiedenen Sprachen vorhanden, so kann man diese unter RDA 7.12 (Sprache des Inhalts) angeben. Für Hilfen, die spezifisch für Menschen mit einer Behinderung gedacht sind (z.B. Audiodeskriptionen, Untertitel für Hörgeschädigte) gibt es ein eigenes Element (RDA 7.14 Barrierefreier Inhalt). Die Altersfreigabe gehört unter RDA 7.7 (Zielgruppe; z.B. "FSK ab 16"). Darüber hinaus gibt es Elemente für technische und inhaltliche Informationen unterschiedlicher Art, z.B. den Regionalcode (RDA 3.19.6), die Dauer (RDA 7.22), den Toninhalt (RDA 7.18; z.B. Angabe, dass es sich um einen Stummfilm handelt) oder das Bildformat (RDA 7.19).

Man sieht hier wieder die große Stärke von RDA, dass die unterschiedlichen Informationen sehr fein differenziert und genau definiert sind. Leider lässt sich diese Komplexität im Austauschformat MARC 21 nicht immer befriedigend umsetzen.

Nachtrag vom 20.05.2015: Bitte beachten Sie auch die zusätzlichen Informationen im Update!

Heidrun Wiesenmüller

Kommentar schreiben

Kommentare: 0