Es steht noch der dritte Teil der Übersicht zu wichtigen Änderungen an RDA im Zuge des April-Updates aus. Das JSC hat mittlerweile eine neue Website
in modernerem Design, hat aber erfreulicherweise die bisherige Website komplett
archiviert, sodass auch die Links in den älteren Blogbeiträgen noch funktionieren sollten. Zu berichten ist nun noch von den Neuerungen im Bereich der Sacherschließung durch die beiden Proposals
6JSC/ALA/31 und 6JSC/TechnicalWG/3. Dies bietet mir
zugleich eine günstige Gelegenheit, um allgemein etwas zu Sacherschließung und RDA zu sagen und einige Missverständnisse aufzuklären.
RDA basiert bekanntlich auf FRBR. Das FRBR-Modell wiederum ragt in den Bereich der Sacherschließung hinein, weil es sich auch mit den Themen von Werken beschäftigt. Das Thema eines Werks kann -
nach dem ursprünglichen FRBR-Modell - entweder eine Entität der Gruppen 1 oder 2 sein oder eine der speziellen Themen-Entitäten der Gruppe 3 (Begriff, Gegenstand, Ereignis, Ort bzw. Geografikum).
Konsequenterweise wurden bei der Konzeption von RDA Platzhalter für entsprechende Kapitel vorgesehen, die zu einem späteren Zeitpunkt gefüllt werden sollten. Es handelt sich dabei um mehrere
Kapitel im Abschnitt 4 (Merkmale der Themen-Entitäten; ausgearbeitet wurde davon nur das Kapitel zu den Geografika, die ja auch in der Formalerschließung eine Rolle spielen), um den Abschnitt 7
(Beziehung zwischen einem Werk und einer Themen-Entität) und um Abschnitt 10 (Beziehungen zwischen mehreren Themen-Entitäten).
Bei der Ausarbeitung des FRBR-Schwestermodells FRSAD (Functional Requirements for Subject Authority Data) stellte die damit beauftragte Arbeitsgruppe fest, dass man mit den von FRBR vorgesehenen Themen-Entitäten in der Praxis schlichtweg nicht arbeiten kann. Beispielsweise kann der Zeitaspekt über die Entität "Ereignis" nur sehr unbefriedigend ausgedrückt werden. Komplexe Themen, wie man sie etwa in einer RSWK-Schlagwortfolge oder einem aus mehreren Aspekten bestehenden LCSH Heading hat, passen überhaupt nicht ins Konzept. Und unter derselben Notation können sich in der Praxis sowohl "Begriffe" als auch "Gegenstände" und "Ereignisse" verbergen. Für FRSAD wurden deshalb die FRBR-Entitäten der Gruppe 3 verworfen und durch eine allgemeine, abstrakte Entität mit dem Namen "Thema" ersetzt, die nach Belieben - entsprechend dem angewendeten Sacherschließungssystem - befüllt werden kann. Esther Scheven und ich haben dazu auf dem Bibliothekartag von 2011 einen Vortrag gehalten (Folie 16ff.). Die deutschen Expertinnen und Experten haben diese Entwicklung zu Recht begrüßt. Seither gibt es allerdings einen Widerspruch zwischen FRBR und FRSAD. Dieser soll in einem "harmonisierten" FR-Modell aufgehoben werden, an dem die FRBR Review Group seit einiger Zeit arbeitet. Auch wenn der neue Entwurf noch nicht veröffentlicht wurde, so war hinter den Kulissen schon zu erfahren, dass die alten Gruppe-3-Entitäten im neuen FR-Modell gestrichen werden sollen.
2013 wurden zwei ganz unterschiedliche Proposals zur Füllung der Platzhalter-Kapitel im Bereich Sacherschließung eingereicht: Das von der damaligen JSC-Vorsitzenden Barbara Tillett erarbeitete Papier 6JSC/Chair/8 hielt an den ursprünglichen Entitäten der Gruppe 3 fest. Dies ist nicht wirklich überraschend, da Barbara Tillett an der Entwicklung des FRBR-Modells maßgeblich beteiligt war. Die ALA hingegen verfolgte in ihrem Discussion Paper (6JSC/ALA/Discussion/2) einen komplett anderen Ansatz: Nicht nur wurde vorgeschlagen, die Entitäten der Gruppe 3 zu streichen und stattdessen dem FRSAD-Modell zu folgen, sondern es wurde auch klar und deutlich ausgesprochen, dass RDA nur einen allgemeinen Rahmen setzen soll. Die Ausgestaltung der Details bleibt gemäß dem Vorschlag weiterhin den diversen existierenden Systemen zur verbalen und klassifikatorischen Sacherschließung überlassen: "Given the variety of subject systems in existence and use, we feel that RDA should provide basic guidance without imposing constraints, either upon the ability of individual subject systems to define their own structure and content, or upon the use of such subject systems by catalogers." Dieser Ansatz scheint der einzig sinnvolle zu sein, weshalb wir auch in der deutschen Antwort für die von der ALA vorgeschlagene Strategie plädiert haben: "In our opinion, RDA should provide a general framework for subject cataloguing. This framework should, however, be flexible enough to accommodate various kinds of subject cataloguing systems. We believe that the strategy outlined in the discussion paper would ensure that this aim will indeed be reached."
Auf dem JSC-Treffen von 2013 wurde zwar offiziell noch keine endgültige Entscheidung zwischen den beiden Richtungen getroffen, weil man zunächst das Ergebnis der FRBR Review Group abwarten wollte (vgl. das Protokoll, Punkt 443). Jedoch wurde die ALA mit der Erarbeitung einer Zwischenlösung beauftragt, die nach meiner Einschätzung auch die endgültige Lösung sein wird: Kap. 23 sollte mit grundsätzlichen Bestimmungen und einem neuen Beziehungselement "Subject Relationship" gefüllt werden. Dies wurde nun 2014 im Proposal 6JSC/ALA/31 näher ausgearbeitet und mit dem April-Update umgesetzt. In das neu geschriebene Kap. 23 sind außerdem Ergebnisse aus der Arbeit der Technical Working Group eingegangen (6JSC/TechnicalWG/3). Diese hatte zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Teil der bisher in Abschnitt 8 (Beziehungen zwischen Entitäten der Gruppe 1) behandelten Beziehungen eigentlich in den Bereich der Sacherschließung gehören: Es sind dies die beschreibenden Beziehungen (beispielsweise ein Kommentar oder eine Rezension zu einem Werk). Die einschlägigen Beziehungskennzeichnungen wurden entsprechend aus dem Anhang J entfernt und sind nun im neuen Anhang M zu finden. Die Diskussion im JSC auf der Sitzung von 2014 ist im Protokoll (Punkte 490 und 491) nachzulesen.
Das neue Kapitel 23 bietet nun zum einen mit dem Element "Subject Relationship" (23.4) eine Verzahnung zwischen RDA und den bestehenden Sacherschließungssystemen. Das Thema eines Werks kann mit drei unterschiedlichen Methoden angegeben werden - als Identifikator, als normierter Sucheinstieg oder als Beschreibung (unter letzteres fällt z.B. eine Inhaltsangabe in Satzform oder die Vergabe freier Schlagwörter). Die Details - die Regeln zur Benennung des Themas, die Anwendungsregeln etc. - bleiben dem jeweils angewendeten Sacherschließungssytem ("identifiable subject system", 23.1.5) überlassen. Interessant ist dabei, dass 23.4 ein Kernelement ist. Strenggenommen haben wir jetzt also eine Verpflichtung dazu, für jedes nach RDA katalogisierte Medium auch (irgendeine Art von) Sacherschließung zu betreiben.
Zum anderen ist die Erfassung von beschreibenden Beziehungen zwischen zwei Entitäten der Gruppe 1 (z.B. "Kommentar zu: ..."), die bisher in Abschnitt 8 zu finden war (s.o.) nun ebenfalls in Kap. 23 gelandet, weil sie von der Logik her zur Sacherschließung gehört. Diese Art der inhaltlichen Erschließung, die vermutlich primär von Formalerschließern betrieben werden wird (die mit denselben Methoden auch andere, nicht sacherschließungsrelevante Beziehungen erfassen), sehe ich - zumindest bis auf weiteres - als etwas an, das neben der normalen verbalen oder klassifikatorischen Sacherschließung steht.
Am Anfang dieses Blog-Beitrags hatte ich auf Missverständnisse beim Thema "RDA und Sacherschließung" hingewiesen. Das zentrale Missverständnis ist dabei die Annahme, dass RDA die bisherigen Sacherschließungssyteme ersetzen soll bzw. wird. Ich gehe jede Wette ein, dass die Amerikaner weder LCSH noch die DDC oder LCC abschaffen werden (zumindest nicht wegen RDA). Wie gezeigt wurde, geht es vielmehr darum, in RDA einen theoretischen Rahmen zu bieten, in den sich die existierenden Sacherschließungssysteme sozusagen "einklinken" können.
Welche Teile von RDA kann man denn nun für die Sacherschließung benutzen? Im Segment der Klassifikationen m.E. gar nichts, denn dies lag von Anfang an außerhalb des Geltungsbereichs von RDA. Im
Segment der verbalen Sacherschließung liegt es hingegen nahe, bei den Schlagwörtern für Personen, Körperschaften und Geografika dieselben Regeln anzuwenden wie in der Formalerschließung. Diesen
Schritt haben wir ja auch längst unternommen, als wir die ehemals getrennten Normdateien GKD, PND und SWD zur GND zusammengeführt haben. Wir sind damit sogar einen Schritt weiter gegangen als die
Amerikaner, die noch immer mit zwei Normdateien arbeiten - dem "Name Authority File" (NAF) und dem "Subject Authority File" (SAF). Mit dem Vollumstieg auf RDA sollen nun auch die Datensätze für
Werke (die bisher meist nur als Schlagwörter verwendet wurden, künftig aber auch für die Formalerschließung wichtiger werden) nach RDA angesetzt werden. Die ehemaligen Formschlagwörter werden
ebenfalls "RDAifiziert": Sie gehen überwiegend im Element 7.2 "Art des Inhalts" auf (siehe dazu den Vortrag von Esther Scheven und
Barbara Pfeifer auf dem RDA-Workshop beim Nürnberger Bibliothekartag).
Und welche Teile der verbalen Sacherschließung wird RDA nicht ausfüllen können? Wenn die Themen-Entitäten der Gruppe 3 erwartungsgemäß aus dem aktualisierten FR-Modell gestrichen werden, werden
auch die bisher vorgesehenen Kapitel für die Merkmale von Begriffen, Gegenständen und Ereignissen sowie für die Beziehungen zwischen solchen Entitäten entfallen. Entsprechend ist davon
auszugehen, dass RDA auch künftig keine Vorgaben für die Beschreibung von Sachbegriffen und Zeitschlagwörtern enthalten wird. Dafür muss es weiterhin Richtlinien außerhalb von RDA - in einem
eigenen Regelwerk für die verbale Sacherschließung - geben. Dasselbe gilt für die Thesaurusbeziehungen innerhalb der GND. Dazu kommt der gesamte Bereich der Anwendungsregeln, beispielsweise zur
Kombination mehrerer inhaltlicher Aspekte zu einem komplexen Thema (in RSWK derzeit in Form von Schlagwortfolgen, in LCSH derzeit in Form von präkombinierten Headings
realisiert).
Man sieht, dass es eine "Sacherschließung nach RDA" nicht geben kann, da RDA selbst bei der verbalen Sacherschließung nur einen Teil der benötigten Regeln bietet - und auch nicht mehr bieten will. Wie das neue Kapitel 23 zeigt, ist es vielmehr als Normalfall anzusehen, dass RDA zusammen mit einem oder mehreren eigenständigen Sacherschließungssystemen angewendet wird. Entsprechend wird auch die Library of Congress ihr umfangreiches Subject Headings Manual gewiss nicht aufgeben, sondern allenfalls an einigen Stellen an RDA anpassen. Auch im deutschsprachigen Raum besteht weiterhin Bedarf für einen Standard zur verbalen Sacherschließung.
Heidrun Wiesenmüller
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