Eine der Klagen meiner Studierenden über RDA ist, dass manche Elemente nur schwer auseinanderzuhalten sind, schon weil ihre Namen so ähnlich klingen. Ein gutes Beispiel dafür sind die beiden
Elemente "Sprache der Expression" (RDA 6.11) und "Sprache des Inhalts" (RDA 7.12). Auch die Definitionen helfen nur bedingt weiter, um den Unterschied zu verstehen:
Sieht man sich die Beispiele im Toolkit an, dann ergibt sich als erster offensichtlicher Unterschied, dass unter RDA 6.11 nur Angaben wie "Deutsch" oder "Englisch" - oder auch "Deutsch" und "Englisch" (RDA 6.11.1.4) - gemacht werden können. In der deutschsprachigen Implementierung werden diese Informationen als ISO-Sprachcode erfasst (vgl. das D-A-CH zu RDA 6.11.1.3, im Toolkit ab August 2015). Unter RDA 7.12 finden sich hingegen Angaben mit dem Charakter eine Fußnote, z.B. "Lateinischer Text mit englischer Übersetzung".
So kann man sagen, dass sich die Angabe unter RDA 6.11 in erster Linie auf das "A" (Access) in RDA bezieht - also für den Zugang gebraucht wird. Zwar kann man die Informationen aus RDA 6.11 auch
im Katalogisat anzeigen, typischer ist jedoch ihre Verwendung zur Einschränkung einer Recherche über die Sprache(n), z.B. als Facette im Drill-down. Die Angabe unter RDA 7.12 dient hingegen dem
"D" (Description) in RDA, also der Beschreibung: Den Benutzern wird in Form eines Satzes oder Halbsatzes erklärt, wie es sich mit der Sprache bzw. den Sprachen genau verhält.
Es gibt aber noch einen grundsätzlicheren Unterschied zwischen den beiden Elementen: RDA 6.11 bezieht sich auf eine Expression, RDA 7.12 hingegen auf eine Ressource - in der sich unter Umständen mehrere Expressionen befinden können. Vom Regelwerk her ist vorgesehen, dass man nur dann mehrere Sprachen unter RDA 6.11 angibt, wenn ein und dieselbe Expression Anteile in unterschiedlichen Sprachen aufzuweisen hat. Ein gerne zitiertes Beispiel dafür ist Tolstois "Krieg und Frieden": Dieser Roman wurde nicht durchgängig auf Russisch geschrieben, sondern teilweise auf Französisch - der damaligen Modesprache in der vornehmen russischen Welt. Dies ist sicher ein eher seltener Fall; geläufiger ist uns das Beispiel eines Aufsatzbands mit Beiträgen in unterschiedlichen Sprachen.
Hat man hingegen in einer Ressource denselben Text im lateinischem Original und in deutscher Übersetzung vorliegen oder einen Bildband mit Bildunterschriften auf Deutsch, Englisch und Französisch, so handelt es sich nicht um eine einzige Expression, sondern um zwei bzw. drei verschiedene Expressionen desselben Werks. In diesen Fällen dürfte man eigentlich nicht einfach "Latein" und "Deutsch" bzw. "Deutsch", "Englisch" und "Französisch" unter RDA 6.11 angeben, sondern müsste deutlich machen, dass mehrere Expressionen in unterschiedlichen Sprachen vorliegen.
Unsere amerikanischen KollegInnen lösen solche Fälle durch die Angabe mehrerer normierter Sucheinstiege für die in der Ressource enthaltenen Expressionen. Hier ein Beispiel für eine zweisprachige
Ausgabe in den Trainingsunterlagen der Library of Congress (Module 3, Manual, Seite 5). Das
erste Feld 700 im MARC-Datensatz steht für die Original-Expression (hier wird auf eine Sprachangabe verzichtet), das zweite für die spanischsprachige Expression (mit der Sprache im Unterfeld
$l):
100 1# $a Macken, JoAnn Early, $d 1953-
245 10 $a Mail carrier = $b El cartero / $c JoAnn Early Macken.
700 12 $a Macken, JoAnn Early, $d 1953- $t Mail carrier.
700 12 $a Macken, JoAnn Early, $d 1953- $t Mail carrier. $l Spanish.
Für die deutschsprachige Implementierung hat man sich auf eine einfachere Lösung verständigt: In RDA 6.11 werden grundsätzlich alle Sprachen angegeben - auch dann, wenn es sich eigentlich um
mehrere Expressionen handelt. Das bedeutet allerdings, dass man anhand dieses Elements nicht unterscheiden kann, ob man eine einzige, mehrsprachige Expression vor sich hat oder mehrere
Expressionen in unterschiedlichen Sprachen.
Hier kommt nun wieder das zweite Element ins Spiel. Mit einer entsprechenden Information unter RDA 7.12 kann man verdeutlichen, welcher der beiden Fälle vorliegt. Es wurde deshalb vor kurzem eine
D-A-CH-Erläuterung zu RDA 7.12.1.3 geschrieben, die im August ins Toolkit kommen wird:
"Liegen in einer Ressource mehrere Sprachen vor, so wird empfohlen, eine erläuternde Angabe gemäß RDA 7.12.1.3 zu erfassen. Dies ist auch für die Unterscheidung wichtig, ob es sich um eine einzige Expression mit Anteilen in verschiedenen Sprachen (z.B. einen Aufsatzband mit Beiträgen in verschiedenen Sprachen) handelt oder um mehrere Expressionen desselben Werks in unterschiedlichen Sprachen (z.B. die zweisprachige Ausgabe eines Romans). Die Formulierung kann frei gewählt werden."
Letztlich setzen wir hier einfach unsere gewohnte Praxis fort. Denn wir haben ja auch bisher schon durch Fußnoten wie "Beitr. teilw. dt., teilw. engl." oder "Text dt. und engl." angegeben, was
die Benutzer in der Ressource erwartet. Diese bewährten Formulierungen darf man übrigens ruhig weiter verwenden, sollte jedoch - dem Geist von RDA entsprechend - künftig auf die Abkürzungen
verzichten und alles ausschreiben.
Zusammenfassend: In RDA 6.11 werden die in der Ressource vorliegenden Sprachen erfasst (als Code); dabei ist es im D-A-CH-Raum egal, ob sich diese Sprachen in derselben Expression befinden oder
in mehreren. Hat man mehrere Sprachen angegeben, so sollte man zusätzlich im Element RDA 7.12 mit einer geeigneten Formulierung erklären, welche sprachliche Situation vorliegt.
Hat man unter RDA 6.11 nur eine einzige Sprache erfasst, so ist eine nähere Angabe gemäß RDA 7.12 in der Regel nicht nötig, da sich die Sprache üblicherweise aus der bibliografischen Beschreibung
der Ressource ablesen lässt. In Ausnahmefällen (z.B. wenn der Inhalt nicht in der Sprache vorliegt, die man nach dem Titel etc. der Ressource erwarten würde) sollte man natürlich einen
entsprechenden Hinweis gemäß RDA 7.12 geben.
Heidrun Wiesenmüller
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Dr. Kai Multhaup (Samstag, 26 September 2015 18:40)
Das mit D-A-CH und RDA 6.11 ist doch aber merkwürdig. Ist nicht lediglich die erste Expression, die in der Ressource enthalten ist, ein Standardelement? Und wenn man mit getrennten Datensätzen für Expressionen arbeitet, klappt das z.B. mit den Bildunterschriften in verschiedenen Sprachen ja gar nicht. Wenn D-A-CH demnach also voraussetzt, dass man eine zusammengesetzte Beschreibung anlegt, widerspricht das nicht der "Formatneutralität" der RDA?
Heidrun Wiesenmüller (Montag, 28 September 2015 12:01)
Streng genommen ist die D-A-CH-Regelung zu RDA 6.11 ein Verstoß gegen RDA. Man hat sich darauf geeinigt, weil die Expression in der deutschen Implementierung insgesamt sehr stiefmütterlich behandelt wird. Auch Normdatensätze für Expressionen sind nur in ganz engen Grenzen vorgesehen. Und ja, D-A-CH setzt hier eine zusammengesetzte Beschreibung voraus und keine Lösung mit getrennten Datensätzen. Aber das ist eben eine Frage der Implementierung: RDA ist formatneutral, D-A-CH ist es nicht. Für die deutschsprachige Implementierung wurde festgelegt, dass das bisherige Datenmodell im wesentlichen erhalten bleibt.
Dr. Kai Multhaup (Montag, 28 September 2015 20:40)
Das ist ja interessant. Sind eigentlich die Standardelemente an sich "formatneutral", oder spiegeln die auch eher die D-A-CH-Welt wieder? Bei den Titeldaten fällt ja auf, dass nicht alle RDA-Kernelemente vertreten sind, die sich auf Expressionen beziehen. Zwar findet man die hier diskutierte Sprache der Expression wieder, aber zum Beispiel nicht das Datum der Expression.
Heidrun Wiesenmüller (Dienstag, 29 September 2015 11:09)
Ja, auch das Standardelemente-Set spiegelt die Implementierungsentscheidungen der D-A-CH-Welt wider. RDA selbst sagt nichts darüber aus, in welcher Art von Datensätzen die Elemente erfasst werden sollen (wie es ja grundsätzlich nichts über das Vorhandensein und die Typen von Datensätzen aussagt). Die Expression ist, wie schon gesagt, ein bisschen das "Stiefkind" der deutschsprachigen Implementierung. In der zusammengesetzten Beschreibung wird davon ausgegangen, dass die Expression ausreichend identifiziert wird - einerseits explizit durch die für die Expression zentralen Elemente "Inhaltstyp" und "Sprache der Expression", andererseits implizit durch Beziehungen zu Mitwirkenden (z.B. Übersetzern und Herausgebern). Das Element "Datum der Expression" ist in der D-A-CH-Implementierung nach meinem Kenntnisstand nur in Normdatensätzen für Expressionen vorgesehen. Dort ist es in seltenen Fällen ein Kernelement (z.B. zur Unterscheidung der beiden Fassungen von Kants "Kritikt der reinen Vernunft" von 1781 und 1787). Fakultativ kann es immer belegt werden. Die Verwendung von Normdatensätzen für Expressionen ist allerdings stark eingeschränkt: Nach derzeitigem Stand werden sie nur im Bereich der Sacherschließung erfasst (dann, wenn Sekundärliteratur über eine spezielle Expression vorliegt) sowie im Rahmen bestimmter Projekte (z.B. bei der diskografischen Normdatei).