Gespannt hatten Frau Horny und ich auf die erste Rezension zu unserem Lehrbuch gewartet. BuB hat das Rennen gemacht: In Heft 7/2015 ist auf S. 472f. eine Rezension von Margarete Payer unter dem Titel "Die Regeln der RDA für die deutschsprachigen Länder : das Lehrbuch zum Einstieg" erschienen. Über die freundliche Besprechung haben wir uns sehr gefreut.
Frau Payer weist u.a. auf die Schwierigkeit hin, "sich die Vorschriften zu einem bestimmten Thema aus der RDA zusammen zu suchen" - da wird man "erleichtert das Lehrbuch zur Hand nehmen".
Besonders positiv bewertet werden die in den Haupttext eingebundenen "Listen mit normierten Angaben" und die "ein Drittel des Buches umfassende Beispielsammlung". Frau Payers Fazit ist: "Wenn man
nicht Sonderfälle katalogisiert, kann man davon ausgehen, dass man mit dem Basiswissen, das das Buch bringt, sehr gut leben kann und man weitgehend auf die Benutzung des teuren RDA-Tools
verzichten kann."
Umfassende vs. zusammengesetzte Beschreibung
Wie ich vor kurzem schon in einem anderen Blogbeitrag erwähnt hatte, klingen viele Termini in RDA sehr ähnlich. Zu den Begriffen, die man leicht verwechseln kann, gehören auch "umfassende Beschreibung" (comprehensive description) und "zusammengesetzte Beschreibung" (composite description):
"Außerdem enthält das Buch wichtige Angaben zur praktischen Anwendung, die im RDA-Toolkit fehlen; zum Beispiel dass für die
Titelaufnahmen der meisten Ressourcen im Normalfall die "umfassende Beschreibung" gewählt werden soll, das heißt man beschreibt die Manifestation einer Ressource und fügt die notwendigen Angaben
des Werkes und der Expression in diese Beschreibung ein."
"Umfassende Beschreibung" meint aber, dass man nur einen einzigen Datensatz erstellt, auch wenn die Ressource aus mehreren Teilen besteht (vgl. Lehrbuch, S. 33f.). Bei einem Lexikon in 10 Bänden würde man also bei umfassender Beschreibung nur einen einzigen Datensatz anlegen (für das Ganze). Daneben kennt RDA die analytische Beschreibung (ein Datensatz pro Band, also insgesamt 10) und die hierarchische Beschreibung (ein Datensatz für das Ganze und ein Datensatz pro Band, also insgesamt 11). Spricht man hingegen von einer zusammengesetzten Beschreibung, so bedeutet dies, dass Informationen aus den drei Ebenen Werk, Expression und Manifestation im selben Datensatz gemischt vorliegen (vgl. Lehrbuch, S. 122). Die Alternative dazu wäre das Anlegen von getrennten, aber miteinander verknüpften Datensätzen für die einzelnen Entitäten.
"In den meisten Fällen", schreibt Frau Payer weiter, "kann sich der Leser darauf verlassen, dass die RDA-Regeln im Lehrbuch korrekt ausgelegt sind". Als Gegenbeispiele nennt sie zwei
Regelwerksstellen, die sie und wir offensichtlich unterschiedlich interpretieren. Angeregt durch die Rezension habe ich mir beide noch einmal genau angeschaut und denke, es lohnt sich, hier noch
einmal näher darauf einzugehen.
RDA 2.3.2.9
Der erste Fall betrifft eine besonders knifflige Thematik: Es geht um Zusammenstellungen ohne übergreifenden Titel, bei denen die Titel der einzelnen Werke auch nicht grammatikalisch miteinander
verbunden sind - also das, was wir früher als "beigefügtes Werk" bezeichnet haben. Frau Payer schreibt in der Rezension:
"Dass zum Beispiel bei einer Ressource ohne übergeordneten Titel in der Manifestation entweder die vorliegenden Sachtitel als ein Haupttitel behandelt werden (Beispiel 13-26) oder mehrere Haupttitel erfasst werden können (Beispiel 13-31), entspricht RDA 2.3.2.9. Allerdings gibt es dazu seit September 2014 eine Änderung für deutschsprachige Anwender: entweder sind die Titel der einzelnen Teile grammatikalisch miteinander verbunden oder man nimmt nur den ersten Titel als Haupttitel."
Hier der relevante Ausschnitt aus RDA 2.3.2.9:
Diese Stelle hat uns durchaus Kopfzerbrechen bereitet: Kommt in solchen Fällen das Element "Haupttitel" mehrfach vor oder bilden die Haupttitel der enthaltenen Werke gemeinsam den Haupttitel der Manifestation? Da das Element "Haupttitel" in RDA offensichtlich nicht wiederholbar angelegt ist, kann nur die zweite Interpretation zutreffen. Dies war auch die Tendenz einer Diskussion in der englischsprachigen RDA List. Schwierig war nun, wie wir dies in den tabellarischen Lösungen abbilden sollten. In Beispiel 13-26, wo beide Werke vom selben geistigen Schöpfer stammen, haben wir uns dafür entschieden, beide Titel in eine einzige Zeile "Haupttitel" zu schreiben (verbunden mit einem Semikolon). In Beispiel 13-31 stammen die enthaltenen Werke von verschiedenen Verfassern. Hier blieb uns nichts anderes übrig, als die beiden Teile des Haupttitels in zwei Zeilen zu schreiben, um den Zusammenhang zur zugehörigen Verantwortlichkeitsangabe zu erhalten.
Das D-A-CH, auf das Frau Payer sich bezieht, ist keine Anwendungsregel, sondern eine Erläuterung. Schon dies macht klar, dass
damit keine Abweichung von RDA intendiert war - denn eine solche muss gemäß den Spielregeln der AG RDA stets in Form einer Anwendungsregel festgeschrieben werden. Hier der Text:
Mit dieser Erläuterung soll nach unserem Verständnis nicht ausgedrückt werden, dass im oben beschriebenen Fall nur der Haupttitel des ersten enthaltenen Werks als Haupttitel der ganzen
Manifestation anzugeben ist - dies wäre ja auch extrem benutzerunfreundlich. Auch die Schulungsunterlagen zum Thema Zusammenstellungen in Modul 5A (die von derselben Themengruppe erarbeitet wurden, welche die Erläuterung zu RDA 2.3.2.9
formuliert hat) zeigen in einem solchen Fall alle Teile des "Mehrfach-Haupttitels" als fett gedrucktes Kernelement.
Vielmehr geht es bei der Erläuterung nur darum, wie man einen solchen "Mehrfach-Haupttitel" in der Praxis erfasst. Der erste Teil soll in das Feld geschrieben werden, in dem normalerweise der
Haupttitel steht. Die übrigen Teile werden dort angegeben, wo es im jeweiligen konkreten Erfassungsformat vorgesehen ist. Wie das beispielsweise im Pica-Format aussieht, kann man sich in den
entsprechenden Beispielen ansehen: Der erste Teil kommt in Feld 4000, weitere Teile in Feld 4010.
In Aleph wird ganz entsprechend zusätzlich zu Feld 331 noch Feld 362 verwendet. Die Formulierung der Erläuterung ist aber wohl etwas unglücklich ausgefallen und kann leicht zu Missverständnissen
führen.
RDA 6.2.3.4
Der zweite sachliche Punkt, den Frau Payer kritisch beleuchtet, betrifft abweichende Titel von Werken:
"Nicht überzeugend ist die Interpretation von RDA 6.2.3.4: als abweichende Titel eines Werks werden dort unter anderem Varianten, die auf Grund einer anderen Sprache vorliegen, genannt, zum Beispiel wenn der Katalogisierer zum besseren Verständnis einen Titel übersetzt. Im Lehrbuch wird das auch auf Titel von Übersetzungen bezogen (S. 76), weshalb im Beispiel 16-28 zum Normdatensatz eines Werks Titel von Übersetzungen als abweichende Titel angegeben werden. Übersetzungen gehören aber zur Ebene der Expressionen. Vielleicht gibt es Überlegungen, in die Normdatensätze von Werken Angaben zu den dazu gehörigen Expressionen einzubauen?"
Mir scheint, dass es hier eigentlich um zwei getrennte Fragen geht:
- Fallen Übersetzungstitel unter RDA 6.2.3, d.h. gelten sie als abweichende Titel des Werks?
- Wo im Datenmodell sollen Übersetzungstitel erfasst werden?
Die erste Frage lässt sich nach Ausweis des Regelwerks mit einem klaren "Ja" beantworten. Ein abweichender Titel des Werks ist laut Definition "ein Titel oder eine
Titelform, unter dem/der das Werk bekannt ist, der/die sich von dem Titel oder der Titelform unterscheidet, der/die als bevorzugter Titel des Werks gewählt wurde" (RDA 6.2.3.1). Auf
Übersetzungstitel trifft dies gewiss zu. So ist beispielsweise Tolkiens Hauptwerk in der deutschsprachigen Welt unter dem Titel "Der Herr
der Ringe" bekannt. Abweichende Titel des Werks können aus jeder beliebigen Quelle genommen werden (RDA 6.2.3.2). Neben Nachschlagewerken sind es vor allem Manifestationen von Werken, die als
Quelle dafür in Frage kommen (RDA 6.2.3.3). Titelvarianten in anderen Sprachen werden außerdem explizit bei den abweichenden Werktiteln angeführt (RDA 6.2.3.4).
Einschränkend sagt RDA (6.2.3.3 Ausnahme), dass nur solche Manifestationstitel als abweichende Werktitel erfasst werden sollen, von denen man erwarten kann, dass Benutzer tatsächlich nach ihnen
suchen. In der deutschsprachigen Welt trifft dies auf "Der Herr der Ringe" fraglos zu. Weniger naheliegend wäre es hingegen für uns, einen finnischen oder japanischen Übersetzungstitel zu
erfassen. In einem wirklich internationalen Umfeld könnte freilich auch das durchaus sinnvoll sein.
Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang noch, dass RDA - anders als FRBR - kein Element "Titel der Expression" kennt. Expressionen werden gemäß der Philosophie von RDA nicht durch einen Titel identifiziert, sondern durch andere Merkmale wie die Sprache und den Inhaltstyp. In der Tat wäre ein Element "Titel der Expression" nicht sonderlich hilfreich: Denn einerseits kann dieselbe Expression mit unterschiedlichen Titeln erscheinen (z.B. "Mord im Orientexpress" vs. "Der rote Kimono" für die deutsche Übersetzung von Agatha Christies "Murder on the Orient Express"), andererseits können unterschiedliche Expressionen unter demselben Titel veröffentlicht werden (es gibt mehrere deutsche Übersetzungen von Jane Austens "Pride and prejudice"; diese laufen überwiegend unter dem Titel "Stolz und Vorurteil"). Würden Übersetzungstitel nicht als abweichende Werktitel gelten, bliebe nur die Erfassung als Haupttitel der Manifestation. In unserem Datenmodell könnte man sie dann ausschließlich in Titeldatensätzen erfassen.
Der zweite Aspekt, den Frau Payer aufwirft, ist noch interessanter: Wo im Datenmodell sollen Übersetzungstitel erfasst werden? RDA macht grundsätzlich keine Vorgaben zu solchen Dingen - es
handelt sich dabei um Implementierungsentscheidungen. In den D-A-CH haben wir festgelegt, dass abweichende Titel von Werken nur in Normdatensätzen, nicht aber in Titeldatensätzen erfasst werden
sollen (RDA 6.2.3.3 D-A-CH, ab August 2015 im Toolkit). Letzteres wäre durchaus möglich, aber natürlich nicht sehr effizient. Es bleibt in unserem derzeitigen Datenmodell also nur die Erfassung
im Normdatensatz für das Werk, wie es auch das Beispiel 16-28 im Lehrbuch zeigt.
Anders wäre es, wenn wir auch für Expressionen routinemäßig Normdatensätze erstellen würden (dies ist derzeit nur möglich, wenn ein solcher Datensatz in der Sacherschließung benötigt wird). Dann
könnte man z.B. bei einem englischen Werk die deutschsprachigen abweichenden Werktitel im Normdatensatz für die deutsche Expression ablegen, die französischsprachigen in der französischen
Expression etc. Dies entspricht der amerikanischen Praxis (vgl. die Erklärung von Robert Maxwell in "Maxwell's handbook for RDA" auf S. 471), an die Frau Payer vielleicht gedacht hat. Hier ein
Beispiel für einen solchen Expressionsnormdatensatz in den LC Authorities:
Ein Benutzer, der mit einem deutschen Titel sucht, würde dann also direkt zur deutschen Expression geleitet (in der Annahme, dass er sich nur dafür interessiert) und nicht zum Normdatensatz für das Werk an sich. Ich bin allerdings nicht sicher, ob dies wirklich eine praktikable und benutzerfreundliche Lösung wäre. Stellt man sich die Normdatensätze für das Werk und seine Expressionen als miteinander verlinkt vor, so ist ein Auseinandersortieren der abweichenden Werktitel nach ihrer Sprache m.E. unnötig. Aber, wie gesagt, da wir vorläufig keine Normdatensätze für Expressionen anlegen, stellt sich die Frage derzeit nicht.
Nachtrag vom 21.07.2015: Die Rezension von Frau Payer ist jetzt frei online zugänglich, vgl. Blog-Beitrag.
Heidrun Wiesenmüller
Karl Dietz (Sonntag, 19 Juli 2015 13:38)
"Wenn man nicht Sonderfälle katalogisiert, kann man davon ausgehen,
dass man mit dem Basiswissen, das das Buch bringt, sehr gut leben kann
und man weitgehend auf die Benutzung des teuren RDA-Tools verzichten
kann."
Margarete Payer in BuB, Nr. 7/2015,
http://www.basiswissen-rda.de/2015/07/15/rezension-von-margarete-payer-in-bub/
Ein sehr gewagtes Fazit.
Karl Dietz in AKI-wiki
http://wiki.aki-stuttgart.de/mediawiki/index.php/Basiswissen_RDA
Heidrun Wiesenmüller (Sonntag, 19 Juli 2015 14:08)
Lieber Herr Dietz, ich sehe das auch so. Es ist zwar schmeichelhaft, dass Frau Payer meint, man würde bei "normalen" Katalogisaten mit dem Lehrbuch alleine zurecht kommen. Aber so ist es eigentlich nicht gedacht. Es ist gewiss sinnvoller, Lehrbuch und Toolkit nebeneinander zu benutzen.
Barbara Ganz / HeBIS-AG RDA (Mittwoch, 12 August 2015 16:06)
Liebe Frau Wiesnmüller, liebe Frau Payer, zu Ihren Ausführungen zu grammatikalisch miteinander verbundenen Haupttiteln bei Zusammenstellungen verschiedener geistiger Schöpfer hat sich eine Änderung ergeben:
dazu aus der Themengruppe TGB "Krawalski, 13.06.2015
Die Titel der Teile werden nicht als EIN Haupttitel erfasst. RDA 2.3.2.9 D-A-CH wurde zwischenzeitlich überarbeitet und wird in der aktualisierten Fassung mit dem August-Release ins Toolkit eingestellt.
Hier der neue Wortlaut: "Erfassen Sie den Titel des ersten Teils als Haupttitel. Verwenden Sie im Zweifelsfall den hervorgehobenen beziehungsweise zuerst genannten Titel als Haupttitel. Alle weiteren Titel der einzelnen Teile sind in der vom jeweiligen (Erfassungs-)Format vorgegebenen Form anzugeben. Das gilt auch für grammatikalisch verbundene Titel. Konjunktionen werden in diesem Fall vor den Titeln angegeben, auf die sie sich beziehen." (Siehe: Erläuterungen zu Kapitel 2)"
Viele Grüße, Barbara Ganz 12.08.2015
Heidrun Wiesenmüller (Mittwoch, 12 August 2015 20:18)
Liebe Frau Ganz,
Sie haben völlig recht. Ich hatte diese Änderung nicht mehr präsent bzw. vielleicht auch verdrängt. Denn der SWB war und ist damit gar nicht glücklich, weil wir nun dasselbe Feld (4010) sowohl für die Fälle verwenden müssen, in denen die Titel grammatikalisch verbunden sind, als auch für die, die nicht grammatikalisch verbunden sind. Bei den grammatikalisch verbundenen Titeln bekommen wir voraussichtlich eine etwas merkwürdige Anzeige im Katalog. Man muss vielleicht mal abwarten, ob sich die hier vorgegebene Lösung in der Praxis bewährt, und ggf. nachjustieren.
Als ich jetzt die Mails aus der AG RDA zu dieser Erläuterung nachgelesen habe, ist mir jedenfalls nochmal ganz deutlich geworden, dass es hier wirklich um die Frage der Erfassung geht und nicht um das Regelwerk. Ein Kollege hat in der Diskussion sogar kritisch angemerkt, dass eigentlich das Wort "Datenformat" in einer Erläuterung gar nicht vorkommen darf (weil sich die Erläuterungen genau wie die Anwendungsregeln nur auf die Ebene des Regelwerks beziehen sollen, nicht auf die technische Implementierung). Die m.E. missverständliche Formulierung am Anfang, die zur Interpretation von Frau Payer geführt hat, ist leider auch in der Neufassung erhalten geblieben.