Im März dieses Jahres habe ich einen "Drei-Minuten-RDA"-Beitrag zu Paralleltiteln geschrieben, in dem ich u.a. ausführte:
"Interessanterweise ist das Kriterium dafür, welche Fassung zum Haupttitel gemacht wird, nicht ganz identisch mit dem, was wir von RAK gewohnt sind: Entscheidend ist nicht die Präsentation auf der Titelseite, sondern die Sprache, in der der Hauptteil der Ressource verfasst ist. Hat man beispielsweise einen Aufsatzband mit Beiträgen in zwei Sprachen vor sich, dann muss man prüfen, welche davon den größeren Umfang im Band ausmacht, und den dazu passenden Titel als Haupttitel erfassen (RDA 2.3.2.4)."
Diese These widerrufe ich hiermit öffentlich, denn sie beruht leider auf einem Missverständnis der - freilich auch recht sperrig formulierten - Regelwerksstelle 2.3.2.4. Hier ist sie noch einmal im Volltext:
Die Anwendung von RDA 2.3.2.4 im oben beschriebenen Sinn würde teilweise zu sehr merkwürdigen Ergebnissen führen. Ich hatte ein entsprechendes Beispiel an die englischsprachige RDA List geschickt (meine Mail kann man im Archiv nachlesen): Es handelte sich um eine Festschrift, auf deren Titelseite zuerst eine deutsche, dann eine englische Titelfassung kam; Titelzusatz und Verantwortlichkeitsangabe waren nur auf Deutsch vorhanden. Im Inneren überwogen allerdings die englischen Aufsätze, sodass ich annahm, dass der englische Titel zum Haupttitel gemacht werden müsse, weil der "Hauptinhalt" (engl. "main content") auf Englisch ist. Die Antwort eines amerikanischen Kollegen (John Hostage, der mir schon öfter geholfen hat, wenn ich Verständnisprobleme bei RDA hatte) öffnete mir jedoch die Augen:
"I would interpret it a little differently. I don't think "main content" means the same as the predominant part of the resource. After you get past the preliminaries, forewords, prefaces, etc., you come to the "main content" of the resource. The second part of 2.3.2.4 says if there is no main content in a single language, choose the title proper on the basis of sequence, etc. Presumably this means the same as saying the main content is not in a single language."
Das heißt also, dass man immer dann, wenn im Hauptteil der Ressource mehrere Sprachen vorkommen (und dies ist ja der Normalfall), einfach nach der Formalreihenfolge der Titelseite vorgeht. Es ist dann also völlig unerheblich, wie der quantitative Anteil der Sprachen in der Ressource ist. Diese Interpretation wird auch von der Darstellung in "Maxwell's handbook for RDA" gestützt (S. 81):
"Sometimes a resource repeats the title proper in other languages (the resource may or may not contain text matching the languages of the titles). If this is the case, the first title on the preferred source of information is usually regarded as the title proper. Succeeding repetitions of this title in other languages are usually regarded as parallel titles."
Ich habe seither spaßeshalber einige Tests mit "unbelasteten" Personen gemacht (u.a. Erstsemester-Studierende, die die Regel noch nicht kannten, sowie einige Nicht-Bibliothekare): Diesen habe ich jeweils die Regelwerksstelle vorgelegt und gefragt, wie sie zu verstehen ist. Es hat mich etwas beruhigt, dass ohne Ausnahme alle Testpersonen zur selben (falschen) Interpretation kamen. Offenbar lag es also nicht nur an mir, sondern die Stelle ist einfach missverständlich formuliert. Umso wichtiger ist es, über eine entsprechende D-A-CH-Erläuterung Klarheit zu schaffen.
Bisher gibt es bei RDA 2.3.2.4 nur eine Erläuterung für fortlaufende Ressourcen, die ebenfalls von der falschen Interpretation der Regelwerksstelle ausgeht:
Für das nächste Update des RDA Toolkit habe ich nun die folgende, veränderte Erläuterung eingebracht:
Einzelne Einheiten und mehrteilige Monografien:
Bei der Entscheidung, welche Titelfassung als Haupttitel zu verwenden ist, betrachten Sie nur den Hauptteil der Ressource, d.h.
ignorieren Sie Vor- und Nachwörter, Einleitungen, Anhänge, Register u.ä. Liegt der Hauptteil der Ressource nur in einer einzigen Sprache bzw. Schrift vor, so wählen Sie den Titel in dieser
Sprache bzw. Schrift als Haupttitel.
In allen anderen Fällen verwenden Sie den hervorgehobenen bzw. ersten Titel als Haupttitel.
Fortlaufende und integrierende Ressourcen:
Verwenden Sie grundsätzlich den hervorgehobenen bzw. ersten Titel als Haupttitel.
Ich hoffe, dass wir das Problem damit aus der Welt schaffen können.
Heidrun Wiesenmüller
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Christoph Hermann (Freitag, 08 Januar 2016 14:50)
Liebe Frau Wiesenmüller,
nach der von Ihnen vorgeschlagenen veränderten Erläuterung schlage ich zusätzlich vor, auch im Regelwerkstext im 2. Teil von 2.3.2.4 ein Wort auszutauschen:
Wenn ... es keinen Hauptinhalt in einer EINZIGEN Sprache gibt, dann ...
Viele Grüße
Christoph Hermann
Heidrun Wiesenmüller (Freitag, 08 Januar 2016 21:31)
Lieber Herr Hermann,
das ist eine sehr gute Idee! Ich gebe es weiter.
Die geänderte Erläuterung kommt übrigens mit dem Februar-Update ins Toolkit.
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller
Michael Kakuschke (Dienstag, 12 Januar 2016 13:50)
Liebe Frau Wiesenmüller,
für das nächste Update möchte ich gerne folgende Änderung vorschlagen: statt "ignorieren Sie Vor- und Nachwörter" sollte es heißen : "ignorieren Sie Vor- und Nachworte".
Viele Grüße
Michael Kakuschke
Heidrun Wiesenmüller (Dienstag, 12 Januar 2016 19:49)
Lieber Herr Kakuschke,
ja, können wir machen - ist sprachlich sicher etwas schöner.
Viele Grüße
Heidrun Wiesenmüller