Ein Grundprinzip von RDA ist bekanntlich das Übertragen, also das vorlagegetreue Abschreiben von Angaben, die sich auf der Ressource befinden. Die Groß- und Kleinschreibung ist davon allerdings explizit ausgenommen: Hier gilt gemäß RDA 1.7.2 der Anhang A (für das Deutsche außerdem der Duden, vgl. RDA 1.7.2 D-A-CH). Gerade bei Verlagsnamen scheinen einige Unsicherheiten zur RDA-gerechten Groß- und Kleinschreibung zu bestehen; deshalb hier nun ein "Drei-Minuten-RDA"-Beitrag zu diesem Thema.
Zunächst ein Hinweis zum Aufbau und zur inneren Logik von Anhang A: Im ersten Teil (A.1-A.30) werden die Regeln für das Englische aufgeführt. Erst danach finden sich Regeln für andere Sprachen, z.B. für Französisch in A.40 und Deutsch in A.41. Hat man etwas in einer anderen Sprache als Englisch vorliegen, muss man zunächst bei dieser Sprache nachsehen, ob es eine besondere Regel für den Fall gibt oder nicht. Beispielsweise gibt es für das Französische eine eigene Regel für die Namen von Körperschaften (A.40.2), für das Deutsche jedoch nicht. Gibt es keine sprach-spezifische Regel, so gilt automatisch die entsprechende Regel für das Englische (vgl. A.31). Für einen französischen Körperschaftsnamen gilt daher A.40.2, aber für einen deutschen Körperschaftsnamen gilt - mangels einer besonderen Regel für das Deutsche - A.16. Diese Struktur räumt also dem Englischen, sozusagen als "Mustersprache", eine besondere Rolle ein, was natürlich nicht gerade sehr "international" ist. Deshalb gibt es Pläne, den Anhang A komplett neu zu gestalten, damit alle Sprachen gleichwertig behandelt werden (vgl. dazu 6JSC/CapitalizationWG/1). Aber das ist ein anderes Thema...
Zurück zu unseren Verlagen: Verlage sind Körperschaften, deshalb gelten die entsprechenden Regeln. Bei einem deutschen Verlagsnamen ist A.16.5 (Sonstige Körperschaften) anzuwenden: "Schreiben Sie die Bezeichnung einer Institution, einer Vereinigung, einer Konferenz, einer Firma, einer religiösen Vereinigung oder eines Ordens, einer lokalen Kirche usw. (...) oder einer Abteilung oder einer Division groß." Dabei bedeutet "großschreiben" hier zum einen, dass das erste Wort großgeschrieben wird (A.2.1), und zum anderen, dass "jedes einzelne Wort oder jede Initiale mit Ausnahme von Artikeln, Präpositionen und Konjunktionen groß" zu schreiben ist (A.10). Sie sehen schon: Ein großes Problem beim Anhang A ist, dass die benötigten Regeln oft über viele Stellen verstreut sind. Letztlich haben wir hier aber nichts anderes vorliegen als die uns aus RAK bekannte Regel für die Schreibung von Körperschaftsnamen. Allerdings gilt diese Schreibregel in RDA nicht für alle Sprachen (z.B. nicht für Französisch und Italienisch), während sie nach RAK unterschiedslos auf alle Sprachen angewendet wurde. Wir gehen aber im Folgenden von Verlagsnamen aus, die unter die normale Regel fallen.
Hat sich also bei solchen Verlagsnamen in RDA gar nichts geändert? Doch, denn für uns neu ist die Regel aus A.2.1, die für die Namen von Personen, Familien, Körperschaften und Geografika gilt: "Für Namen mit ungewöhnlicher Großschreibung folgen Sie der Großschreibung in der allgemein bekannten Form."
Bei einer "ungewöhnlichen Großschreibung" denkt man zunächst an einzelne Großbuchstaben innerhalb eines Wortes, also an so etwas wie "eBay" oder "ParleVent Verlag". Diese Fälle sind leicht zu erkennen und stellen kein Problem dar. Die Beispiele bei A.2.1 machen jedoch deutlich, dass auch eine Schreibung nur mit Kleinbuchstaben als ungewöhnliche Großschreibung - bzw. vielleicht sollten wir besser sagen: als ungewöhnliche Groß-/Kleinschreibung - gelten kann (z.B. "doctorjob.com"). Man muss dann logischerweise annehmen, dass dasselbe auch für eine Schreibung ausschließlich mit Großbuchstaben gilt, auch wenn es dazu bei A.2.1 kein einschlägiges Beispiel gibt.
Dies heißt jedoch nicht, dass wir jedes Mal, wenn ein Verlag in der Ressource nur mit Kleinbuchstaben oder nur mit Großbuchstaben geschrieben ist, dies so zu übernehmen haben. Denn wir sollen ja der Groß- und Kleinschreibung des jeweiligen Verlags "in der allgemein bekannten Form" folgen. Die in der konkreten Ressource vorliegende Schreibung wird also nur dann genau so übertragen, wenn es sich sozusagen um ein "Markenzeichen" des Verlags handelt, er sich also grundsätzlich auf diese Weise schreibt. Denn sonst wäre es ja keine "allgemein bekannte Form".
Ein vertrautes Beispiel für einen Verlag, der sich konsequent klein schreibt, ist der transcript Verlag. Die Kleinschreibung findet sich sowohl auf den Titelseiten als auch in den Copyright-Vermerken der Bücher dieses Verlags sowie beispielsweise auch im Impressum auf der Verlagswebsite. Also schreiben wir den Verlagsnamen tatsächlich als "transcript" ab.
Ein Gegenbeispiel ist der Verlag Nicolai: Im Logo wird zwar Kleinschreibung verwendet, aber an anderen Stellen - sowohl in den Büchern als auch auf der Website - trifft man auf normale Groß-/Kleinschreibung mit einem großen "N" am Anfang. Entsprechend sollten wir den Verlagsnamen hier entsprechend der normalen Regel als "Nicolai" wiedergeben und nicht als "nicolai".
Vollständige Großschreibung als Markenzeichen kommt nach meinem Eindruck deutlich seltener vor als vollständige Kleinschreibung. Ein einschlägiges Beispiel ist der Verlag TRIAS, der seinen Namen sowohl in seinen Produkten als auch auf der Website konsequent mit Versalien schreibt, weshalb wir "TRIAS" in dieser Form übernehmen müssen:
Ein ähnliches Beispiel kommt in den Schulungsunterlagen vor (Beispielsammlung, Nr. 3.18): GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH. Viel häufiger ist aber natürlich der Fall, dass man zwar in einer Ressource - vor allem auf der Titelseite - reine Großschreibung vorfindet, dies jedoch nur aus Design-Gründen so gemacht wurde. Denn Großschreibung ist nun einmal ein ganz typisches Mittel, wenn man etwas hervorheben will. Es gibt unzählige Beispiele wie das folgende:
Hier schreiben wir nicht "GEORG OLMS VERLAG", sondern schlicht "Georg Olms Verlag". In den meisten Fällen kann man schon durch einen Blick in das Impressum oder den Copyright-Vermerk feststellen, dass kein Fall von ungewöhnlicher Groß-/Kleinschreibung im Sinne eines Markenzeichens des Verlags vorliegt - nämlich immer dann, wenn man auch eine Variante mit normaler Groß-/Kleinschreibung in der Ressource findet (wie bei unseren Beispielen "Nicolai" und "Olms").
Gelegentlich gibt es aber Fälle, wo es innerhalb der vorliegenden Ressource keinen solchen eindeutigen Hinweis gibt. Wie sollte man dann vorgehen? Optimal wäre es natürlich, in einem solchen Fall kurz auf die Website des Verlags zu schauen und sich z.B. das Impressum oder Bereiche à la "Über den Verlag" anzusehen. In der Praxis hat man dafür aber in der Regel keine Zeit. Meine persönliche Empfehlung ist dann: Nehmen Sie sozusagen als "Default" an, dass es sich um eine schlichte Hervorhebung handelt und nicht um einen Fall von ungewöhnlicher Groß-/Kleinschreibung - vor allem dann, wenn Sie einen Verlagsnamen in reiner Großschreibung vorliegen haben.
Ich bin überzeugt, dass man mit dieser Entscheidung in den allermeisten Fällen richtig liegen wird. Und wenn die Annahme doch einmal falsch sein sollte, so ist es m.E. ein vergleichsweise geringes Übel, fälschlich normale Groß-/Kleinschreibung anzuwenden. Weitaus störender fände ich es, wenn man in unseren Katalogisaten aufgrund zu häufiger Annahme einer ungewöhnlichen Groß-/Kleinschreibung andauernd auf großgeschriebene Verlagsnamen stoßen würde, die den Leser sozusagen "anschreien". Mein Fazit lautet daher: Die Regel für die ungewöhnliche Groß-/Kleinschreibung sollte man bei Verlagsnamen mit Zurückhaltung anwenden und sich im Zweifelsfall lieber an die normalen Groß-/Kleinschreibung halten.
Heidrun Wiesenmüller
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Hanke Immega (Mittwoch, 06 Januar 2016 11:04)
Vielen Dank - und noch ein frohes (und spannendes) neues (RDA-)Jahr!
Das scheint mir eine praktikable Vorgehensweise zu sein - und kommt für den GBV gerade zur rechten Zeit!