Neues, konsolidiertes FRBR-Modell: FRBR-LRM (Teil 1)

Die beiden jüngeren "Geschwister" von FRBR (1998, überarbeitet 2009) - die Modelle FRAD für Normdaten (2009) und FRSAD für Normdaten in der Sacherschließung (2010) - haben FRBR nicht nur weiterentwickelt, sondern verfolgen an einigen Stellen merklich andere Ansätze als das ursprüngliche Modell. Ein wichtiger Unterschied zwischen FRBR und FRAD betrifft Namen: Diese sind in FRBR als Merkmale der Entitäten modelliert (Merkmale "Name der Person", "Name der Körperschaft" etc.). In FRAD werden sie hingegen als eigene Entitäten betrachtet, zu denen eine Beziehung angelegt werden kann (z.B. Person A → hat Name → Name X; Körperschaft B → hat Name → Name Y). Der Hauptunterschied zwischen FRBR und FRSAD ist die Ersetzung der Themen-Entitäten der Gruppe 3 (Begriff, Gegenstand, Ereignis, Ort bzw. Geografikum) durch eine allgemeine, abstrakte Entität mit dem Namen "Thema", welche mit beliebigem Inhalt gefüllt werden kann (vgl. den Blogbeitrag RDA und Sacherschließung). Seit 2010 arbeitete eine IFLA-Arbeitsgruppe, die FRBR Review Group, an einem harmonisierten FR-Modell. Dieses wird "FRBR Library Reference Model" (FRBR-LRM) heißen. Im vergangenen Jahr wurde zunächst eine ganz knappe Einführung dazu unter dem Titel Introducing the FRBR Library Reference Model von Pat Riva und Maja Žumer veröffentlicht (vgl. dazu auch meinen Vortrag "Sacherschließung in einer RDA-Welt" auf der InetBib-Tagung). Vor wenigen Tagen nun wurde der "Draft for world-wide review" über die RDA List verteilt.

Der Entwurf von FRBR-LRM für den weltweiten Review
Der Entwurf von FRBR-LRM für den weltweiten Review

Das Dokument steht unter der CC-BY-Lizenz, sodass wir es problemlos über die Basiswissen-Website zur Verfügung stellen können. Sie können nicht nur den 71 Seiten starken Draft für FRBR-LRM herunterladen, sondern auch die Einladung zur Kommentierung sowie ein ergänzendes Dokument mit einem Mapping zwischen den älteren FR-Modellen und FRBR-LRM.

Das Konzept von FRBR-LRM ist spannend und insgesamt - so zumindest mein erster Eindruck - sehr überzeugend, wenn auch in Einzelpunkten Fragen offen bleiben. In diesem Blog-Beitrag erläutere ich zunächst das neue Entitäten-Modell von FRBR-LRM; weitere Informationen folgen in Kürze in einem zweiten Blog-Beitrag.

Aus FRBR sind wir es gewohnt, in drei Entitätengruppen zu denken:

  • Gruppe 1: Werk, Expression, Manifestation, Exemplar
  • Gruppe 2: Person, Körperschaft
  • Gruppe 3: Begriff, Gegenstand, Ereignis, Ort bzw. Geografikum

Eine solche Gruppeneinteilung gibt es in FRBR-LRM nicht mehr. Die insgesamt elf definierten Entitäten sind jedoch erstmals hierarchisch angeordnet, wie die folgende Abbildung zeigt (Draft, S. 12):

Die Hierarchie der 11 Entitäten von FRBR-LRM
Die Hierarchie der 11 Entitäten von FRBR-LRM

Die Top-Level-Entität heißt "Res" (lateinisch für "Sache, Ding") mit der Definition "any entity in the universe of discourse". Entsprechend sind alle anderen Entitäten eine Unterklasse von "Res". Die meisten Entitäten befinden sich auf der zweiten Hierarchieebene. Nur die Entität "Agent" hat nochmals zwei Unterklassen, nämlich "Person" und "Collective Agent". Der hierarchische Ansatz soll das Modell schlanker halten (vgl. Draft, S. 11). Beispielsweise gelten alle Merkmale und Beziehungen, die für "Res" definiert wurden, automatisch auch für alle anderen Entitäten des Modells (die ja alle zwangsläufig auch eine "Res" sind), müssen also nicht für jede Entität von Neuem definiert werden.

Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die Entitäten: "Res" ist eine Weiterentwicklung der FRSAD-Entität "Thema". In FRSAD war diese Entität allerdings auf die Sacherschließung beschränkt; sie stand für alles, was als Thema eines Werks vorkommen kann. In FRBR-LRM hingegen ist es eine Super-Entität, die alle anderen Entitäten einschließt - egal, ob diese in der Formalerschließung oder der Sacherschließung verwendet werden.

Die Entitäten der FRBR-Gruppe 1 - das berühmte "WEMI" - gibt es auch in FRBR-LRM. Der Kern von FRBR findet sich also weitgehend unverändert auch noch im neuen Modell.

Sehr interessant sind die Änderungen bei der FRBR-Gruppe 2: Sie bestand ursprünglich aus "Person" und "Körperschaft"; FRAD ergänzte dies noch um die "Familie". In FRBR-LRM gibt es für all dies die übergreifende Entität "Agent" mit den Unterklassen "Person" und "Collective Agent". Die Definition von "Collective Agent" lautet: "A gathering or organization of persons bearing a particular name and acting as a unit". Darunter fallen Familien, Körperschaften aller Art (inkl. Gebietskörperschaften), Konferenzen und andere Veranstaltungen, Musikgruppen etc. Das Spektrum von "Collective Agent" entspricht inhaltlich also dem, was man bisher unter Familien und Körperschaften subsumiert hat. Jedoch ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen entfallen.

Bei der Entität "Person" gibt es eine dramatische Änderung. In FRAD war die Definition: "An individual or a persona or identity established or adopted by an individual or group" (FRAD, S. 8). "Person" bezog sich nach FRAD also nicht nur auf reale Personen. Auch Pseudonyme sowie "literary figures, legendary figures, divinities, and named animals as literary figures, actors, and performers" wurden in FRAD als Beispiele für den Geltungsbereich angeführt. In FRBR-LRM wird "Person" hingegen explizit auf reale Personen ("an individual human being", S. 19) eingeschränkt. Dies wird auch in der Scope Note betont: "The entity person is restricted to real persons who live or are assumed to have lived" (S. 19). Entsprechend findet sich das Beispiel "Miss Jane Marple" in FRBR-LRM nur unter der Entität "Res" (S. 13), aber nicht unter der Entität "Person".

Weder fiktive Personen aus Literatur, Mythologie etc. noch Pseudonym-Identitäten fallen also gemäß FRBR-LRM unter "Person", was übrigens bereits letztes Jahr in einem Papier der Fictitious Entities Working Group des RCS heftig kritisiert wurde (6JSC/FictitiousWG/1). Aber wie geht man dann in FRBR-LRM mit Pseudonym-Entitäten um? Der Schlüssel dazu ist die Entität "Nomen" mit der Definition "a designation by which an entity is known" (S. 20); jede Entität hat ein oder mehrere "Nomina". Ähnliche Entitäten gab es schon in FRAD und FRSAD. In FRBR-LRM ist "Nomen" nun ein ganz breites Konzept, das sowohl Namen im eigentlichen Sinne als auch Identifier aller Art umfasst; auch normierte Sucheinstiege fallen unter "Nomen". Bei den Beispielen für "Nomen" auf S. 21 finden sich u.a. "'Christie, Agatha, 1890-1976' [preferred access point according to RDA for her mystery novels and stories]" und "'Westmacott, Mary, 1890-1976' [preferred access point according to RDA for her romance novels]".

Man darf also annehmen, dass getrennte bibliografische Identitäten in der Logik von FRBR-LRM anders zu modellieren sind als nach RDA: Dort nehmen wir mehrere Personen an (weil die auf FRAD basierende, breite Definition von "Person" es zulässt, eine Pseudonym-Identität als eigene Person betrachten). Gemäß FRBR-LRM muss dasselbe hingegen als Beziehungen zwischen einer realen "Person" und mehreren "Nomina" modelliert werden, also:

Person: Agatha Christie → hat Nomen → Nomen: Christie, Agatha, 1890-1976

Person: Agatha Christie → hat Nomen → Nomen: Westmacott, Mary, 1890-1976

Bedeutet dies nun, dass in Folge der Einführung von FRBR-LRM ein Grundprinzip von RDA - getrennte Normdatensätze für den wirklichen Namen und das Pseudonym - aufgegeben werden wird? Müssen wir womöglich in ein paar Jahren alle Normdatensätze, die wir jetzt aufgrund des RDA-Umstiegs mühevoll auseinanderziehen, wieder in den alten Zustand bringen, wie er unter RAK war? Denn dort gab es ja nur einen Normdatensatz, in dem alle Namensformen enthalten waren.

Ich möchte diese Frage noch mit amerikanischen KollegInnen diskutieren. Mein erster Eindruck ist jedoch, dass dies nicht die Intention von FRBR-LRM ist. Zwar steckt im neuen Modell eine andere Logik als in den früheren FR-Modellen. Dies heißt jedoch nicht automatisch, dass sich etwas an der datentechnischen Umsetzung ändern muss. In der Einleitung des Drafts wird betont, dass es sich bei FRBR-LRM um nicht mehr und nicht weniger als ein konzeptionelles Modell handelt. Entsprechend wird nicht erwartet, dass dies 1:1 in ein reales Datenmodell zu überführen ist:

"The conceptual model as declared in the FRBR-LRM is a high-level conceptual model and as such is
intended as a guide or basis on which to elaborate cataloguing rules and implement bibliographic
systems. The FRBR-LRM is not intended to be implemented directly as it stands. Any practical
application will need to determine an appropriate level of precision, requiring either expansion within the context of the model, or possibly some omissions." (S. 5f.)

Auf S. 61f. wird das Thema "Bibliographic identities" explizit behandelt. Eine "bibliographic identity" wird dabei als "a cluster of nomens used by a person in the same bibliographically significant context or contexts" beschrieben. Es kann also für jede bibliografische Identität einen bevorzugten Namen sowie zugehörige abweichende Namen geben. Warum sollte es also nicht legitim sein, für ein solches Namenscluster einen eigenen Normdatensatz anzulegen? Allenfalls müsste man darüber nachdenken, ob man weiter "gemischte" Normdatensätze zulassen möchte, die sowohl für ein bestimmtes Namenscluster als auch für eine reale Person stehen; es wäre denkbar, dies künftig sauberer zu trennen. Jedenfalls gehe ich zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass das aus der angloamerikanischen Tradition stammende Prinzip der getrennten Normdatensätze bei Pseudonymen mit FRBR-LRM nicht in Frage gestellt werden soll.

Nun sind wir schon fast durch mit den elf Entitäten - es fehlen nur noch "Place" und "Time-span". In diesen beiden Entitäten zeigt sich eine grundsätzlich veränderte Sichtweise auf manche Informationen. Im Draft heißt es dazu: "A frequent example of a difference in modelling is the case of many former attributes, which in the FRBR-LRM have been modelled as relationships to the entities place and time-span" (Draft, S. 8).

"Place" gab es in FRBR nur als Entität der Gruppe 3 - also eigentlich nur im Kontext der Sacherschließung, nämlich als Thema eines Werks. In FRBR-LRM gibt es keine solche Einschränkung mehr. Die Definition lautet: "A given extent of space". Auch hier sind übrigens fiktionale Orte ("imaginary, legendary or fictional places") explizit ausgeschlossen. Die Definition von "Place" als breit nutzbare Entität führt dazu, dass viele Informationen, die in den bisherigen FR-Modellen als Merkmale anderer Entitäten betrachtet wurden, nunmehr als Beziehungen dargestellt werden. Beispiele dafür sind Geburts- und Sterbeorte von Personen, der Sitz einer Körperschaft, der Ort einer Konferenz etc. Für uns ist dies nichts Neues, denn in der GND machen wir genau dies schon seit längerem: Wir stellen eine Beziehung her, indem wir einen Normdatensatz - z.B. für eine Person oder eine Körperschaft - mit dem Normdatensatz für ein Geografikum verknüpfen. Die Art der Beziehung kennzeichnen wir durch einen Code (z.B. "ortg" für "Geburtsort"). In meinem Vortrag "Sacherschließung in einer RDA-Welt" auf der InetBib-Tagung habe ich darauf schon hingewiesen:

Folie aus meinem Vortrag "Sacherschließung in einer RDA-Welt" auf der InetBib-Tagung in Stuttgart
Folie aus meinem Vortrag "Sacherschließung in einer RDA-Welt" auf der InetBib-Tagung in Stuttgart

Entsprechend hatten wir im Jahr 2014 ein Discussion Paper mit dem Titel "Hidden relationships in attributes" eingebracht (6JSC/DNB/Discussion/3), das zum großen Teil aus meiner Feder stammt. Dort wurden beispielhaft RDA-Merkmale aufgeführt, die sich bei näherem Hinsehen eigentlich als eine Beziehung zwischen zwei Entitäten entpuppen. Beispielsweise ist es ja äußerst merkwürdig, dass die Affiliation bei den Merkmalen einer Person behandelt wird (RDA 9.13) und nicht im Kapitel 32 bei den Beziehungen zu einer Körperschaft. Auch Beziehungen zu Orten hatten wir damals explizit angeführt und die möglichen Vorteile einer Umwandlung von Merkmalen in Beziehungen erläutert:

"If place was included in the revision, several elements ("place of birth", "place of death", "location of conference", "place associated with the family" etc.) could be removed. Instead of using a separate element for each kind of place, the same information could be given by using only one single relationship element (related place) in combination with a suitable relationship designator." (6JSC/DNB/Discussion/3, S. 4)

Da ist es nun schon sehr erfreulich, dass in FRBR-LRM genau diese Idee ausgearbeitet ist. Ich erwarte dann früher oder später auch entsprechende Anpassungen in RDA.

Die neue Entität "Time-span", definiert als "a temporal extent having a beginning, an end and a duration" (Draft, S. 23) kann in ähnlicher Weise verwendet werden. Man kann z.B. das Geburtsdatum einer Person oder das Gründungsdatum einer Körperschaft als Beziehung zu der entsprechenden Zeitspanne bzw. dem Zeitpunkt ausdrücken. Die Dimension der Zeit war in den bisherigen FR-Modellen stark unterbelichtet. Das einzige, was überhaupt in diese Richtung ging, war die Entität "Ereignis" aus FRBR. Unter den Beispielen dafür fanden sich neben Dingen wie der "Schlacht bei Hastings" auch das "Zeitalter der Aufklärung" und das "Neunzehnte Jahrhundert". Da "Ereignis" eine Entität der Gruppe 3 war, blieb die Anwendung jedoch auf den Bereich der Sacherschließung beschränkt. In FRBR-LRM gibt es diese Einschränkung nicht mehr. "Time-span" ist - genau wie "Place" - eine universal anwendbare Entität. Instanzen der Entität "Time-span" können dann wiederum mit verschiedenen "Nomina" ausgedrückt werden. Hier die Beispiele aus FRBR-LRM (Draft, S. 23):

Beispiele für die Entität "Time-span" aus dem Draft von FRBR-LRM
Beispiele für die Entität "Time-span" aus dem Draft von FRBR-LRM

Damit ist unsere Tour d'Horizon zu den Entitäten in FRBR-LRM abgeschlossen. Im zweiten Teil des Blog-Beitrags möchte ich noch einige Details näher ausführen, u.a. zu Merkmalen und Beziehungen und zum Umgang mit Aggregaten in FRBR-LRM. Ich werde versuchen, diesen zweiten Teil im Lauf der kommenden Woche zu schreiben.

Heidrun Wiesenmüller

Nachtrag vom 28.02.2016 abends: Gerade kam die Einladung zum Review auch über die FRBR-Mailing List. Darin ist jetzt auch ein Link auf die IFLA-Seite enthalten, wo die Dokumente nun auch stehen.

Nachtrag vom 02.03.2016: Zum zweiten Teil des Blog-Beitrags geht es hier.

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Kommentare: 8
  • #1

    Beat Mattmann (Montag, 29 Februar 2016 13:10)

    Herzlichen Dank für die Erläuterung - da wird meine ausführliche Lektüre des FRBR-Drafts ja beinahe überflüssig.
    Alles in allem finde ich die Richtung von FRBR als stimmig. Es geht hin zu mehr Universalität und Modularisierung und damit eröffnet sich auch die Möglichkeit einer stärkeren Einbindung von nicht-bibliothekarischen Institutionen wie Archiven und Sondersammlungen. Wenn sich jetzt noch klären liesse, wie sich ein Archivbestand als Ganzes mit diesen FRBR-Entitäten in Verbindung bringen liesse, wäre ich völlig glücklich und zufrieden. Aber vielleicht finde ich ja dann bei der Lektüre den springenden Punkt.

  • #2

    JGE (Mittwoch, 09 März 2016 09:36)

    Lese gerade diesen Eintrag nach dem dritten. Die Entscheidung der Definition von "persona" finde ich spannend. Was kann denn "assumed to have lived" bedeuten? Wie soll man das entscheiden? Ist Gilgamesch in diesem Sinne eine Person? Das wirkt wie ein ontologisches Modell, das den ontologischen Status einer Entität davon abhängig macht, was wir darüber wissen. Das schließt ja die Bereitschaft ein, bei mehr Wissen den Status zu ändern.
    Was ist mit Gottheiten? Sie sind keine "human beings", aber "persons", und die Gläubigen nehmen deren Existenz an. Oder Jesus und Mohammed? Auch bei der deutlich fiktionalen Behandlung realer Personen ergeben sich Schwierigkeiten. Ist der fiktionale Grabbe in dem Roman "Grabbes letzter Sommer" identisch mit dem realen, d.h. ist der Roman über die Person Grabbe? (Und wenn ja, kann man dann sagen, dass der Roman "lügt", weil er falsche Dinge über den echten Schriftsteller erzählt?) Oder gibt es zwei Entitäten, eine Person Grabbe und eine fiktionale Person = Res, die eine Beziehung zum gleichen Namen haben, oder sind es verschiedene Namen?

  • #3

    Heidrun Wiesenmüller (Freitag, 11 März 2016 14:22)

    Liebe/r JGE,
    diese Fragen sind sehr berechtigt. Ich habe auch ein ganz schlechtes Gefühl dabei, dass alles, was fiktiv ist (auch z.B. fiktive Orte) unter "Res" fallen soll, aber nicht unter die "passenden" Entitäten. Ich werde dazu auch noch ein bisschen was schreiben (geplant für den fünften und letzten Post zu LRM - vorher muss ich aber noch den vierten machen).
    Viele Grüße
    Heidrun Wiesenmüller

  • #4

    Stefan Fink (Donnerstag, 31 März 2016 07:19)

    Vielen Dank für die Erläuterungen zum FRBR-LRM!
    Hier ein kleiner Beitrag zur Benennung „Res“:
    Mir ist nicht klar, warum überhaupt eine neue Bezeichnung in das Modell eingeführt werden muss. Ein generell fest etablierter Oberbegriff für sämtliche Objekte eines Datenmodells existiert doch bereits – nämlich „Entität“ (entity). Im FRBR-Kontext sprechen wir ja schließlich auch von verschiedenen „FRBR-Entitäten“, verwenden also „Entität“ als Oberbegriff für „Werk“, „Expression“, etc.
    Demgemäß wäre doch „Entität“ (entity) – oder vielleicht spezifischer: „LRM Entität“ (LRM entity) – auch eine naheliegende Bezeichnung für die oberste Klasse des FRBR-LRM-Modells und eine sinnvolle Alternative zur Bezeichnung „Res“, die vor allem im Zusammenhang mit Personen eher unglücklich ist.
    Anders gesagt: Die Entität, deren Definition ("any entity in the universe of discourse") einzig darin besteht eine Entität zu sein, könnte doch gleich auch "Entität" heißen.
    Die Hierarchie würde dann z.B. so aussehen:
    „LRM-E7 Person“ IsA "LRM E-6Agent“ IsA „LRM-E1 Entity“
    Analog dazu wird ja auch im CIDOC-CRM-Modell (aus dem musealen/archivalischen Umfeld) die oberste Klasse einfach mit „CRM Entität“ (CRM entity) bezeichnet.

    Viele Grüße
    Stefan Fink
    Technische Universität Graz

  • #5

    Heidrun Wiesenmüller (Donnerstag, 31 März 2016 07:58)

    Lieber Herr Fink,

    die Idee finde ich *sehr* interessant!

    Viele Grüße
    Heidrun Wiesenmüller

  • #6

    Stefan Fink (Montag, 04 April 2016 22:17)

    Liebe Frau Wiesenmüller,

    nachdem das Thema „Fiktive Personen und Geografika im FRBR-LRM“ gerade für Diskussion sorgt, erlaube ich mir auch hierzu einen Beitrag in Form einer kurzen Analyse der „FRBR family of models“:

    Betrachtet man die FRBR, so schließt hier die Definition der Entität „Person” („individuals that are deceased as well as those that are living”) fiktive Personen eigentlich aus. Diese können dann nur der Entität “Concept” zugeordnet werden.
    Die FRAD-Entität „Person” hingegen umfasst auch fiktive Personen („includes literary figures, legendary figures, divinities, and named animals as literary figures, actors, and performers”). Diese Definition findet sich aktuell auch in der RDA.
    Die FRBRoo übernehmen für die Klasse „F10 Person“ die FRBR-Definition von „Person”; es sind also wiederum nur reale Personen gemeint. Dafür ist eine eigene Klasse für fiktive Personen und Gruppen definiert: „F38 Character“ („fictional or iconographic individuals or groups of individuals”). Diese Klasse ist selbst eine Unterklasse von „E28 Conceptual Object“, die der FRBR-Entität „Concept“ entspricht – fiktive Personen sind anscheinend tatsächlich „concepts“.
    Die FRAD-Entität „Person“ wird im Abschnitt „FRAD to FRBRoo Mappings“ der FRBRoo nun folgerichtig beschrieben als „union of F10 Person and F38 Character“. Vor allem im Rahmen der Klassenhierarchie der FRBRoo zeigt sich, dass in den FRAD damit zwei unvereinbare Konzepte (reale Person vs. geistige Schöpfung) zusammengebracht wurden.
    Das FRBR-LRM übernimmt nun wieder die ursprüngliche Definition (also ohne fiktive Personen), wie im „Transition Mapping“ beschrieben wird („Person: retained (as in FRBR)“). Nachdem die Entität „Concept“ in diesem Modell nicht mehr enthalten ist, werden fiktive Personen allgemein zu „res“.
    Bei fiktiven Personen handelt es sich also in den FR-Modellen durchwegs um Instanzen von „Concept“; lediglich im FRAD-Modell sind sie der Entität „Person“ angeschlossen.

    Was fiktive Geografika anbelangt: Diese werden, wenn ich nichts übersehen habe, weder in den FRBR noch in den FRAD explizit erwähnt. Die FRBR-Definition von “Place” beinhaltet z.B. “terrestrial and extra-terrestrial; historical and contemporary; geographic features and geo-political jurisdictions”, aber eben keine fiktiven Orte. Einzig in den FRBRoo findet sich folgende Aussage: „Fictitious places are treated as concepts (Themas etc).“ Gemäß den FR-Modellen wären also fiktive Geografika als „concept“ und nicht als „place“ zu betrachten. Im FRBR-LRM werden sie wie fiktive Personen zu "res".

    Mein Fazit: Die aktuell diskutierten Probleme im Zusammenhang mit fiktiven Personen und Geografika im FRBR-LRM müssten doch eigentlich schon jetzt im Zusammenhang mit FRBR bestehen, oder liege ich da falsch? Das könnte man dann wiederum auch positiv sehen: Vielleicht sind die derzeitigen Vorgangsweisen (z.B. fiktive Geografika als „Geografika“ mit spezieller Kennzeichnung zu behandeln) auch mit dem FRBR-LRM vereinbar.

    Viele Grüße,
    Stefan Fink
    Technische Universität Graz

  • #7

    Heidrun Wiesenmüller (Dienstag, 05 April 2016 08:10)

    Lieber Herr Fink,

    danke für die Übersicht und Analyse!

    Im Moment ist es halt so, dass RDA bei "Person" die Definition von FRAD übernommen hat: "Der Terminus Person bezieht sich auf ein Individuum oder eine Identität, die sich ein Individuum gegeben hat (entweder alleine oder in Gemeinschaft mit einem anderen Individuum oder mehreren anderen Individuen)." (RDA 8.1.2). Pseudonym-Identitäten sind hier explizit eingeschlossen, andere fiktive Personen zumindest nicht ausgeschlossen. Das Geografika-Kapitel in RDA ist derzeit noch unterentwickelt und umfasst nur die Gebietskörperschaften. Insofern gibt es hier sowieso noch keine Konflikte mit anderen Geografika.

    Bisher kommen wir gut mit allem zurecht. Wenn aber einerseits die Sacherschließung noch stärker an RDA angepasst werden soll (vgl. meinen Vortrag "Sacherschließung in einer RDA-Welt, s. Blogbeitrag: http://www.basiswissen-rda.de/2016/02/12/rda-auf-der-13-inetbib-tagung-in-stuttgart/) und andererseits RDA künftig womöglich exakt FRBR-LRM abbilden wird, könnte das schon zu Problemen führen. Natürlich hoffe ich auch, dass man sich irgendwie wieder herauslavieren könnte (z.B. könnten wir ja einfach definieren, dass Tg-Sätze mit der Kennung für "fiktiver Ort" modelltheoretisch nicht zur LRM-Entität Geografikum, sondern zur LRM-Entität Res gehören. Aber lieber wäre es mir schon, LRM würde sich für eine andere Vorgehensweise entscheiden.

    Für diejenigen, die die RDA-L nicht verfolgen, hier noch Links zu einer Mail von Gordon Dunsire und einer von mir:
    http://lists.ala.org/sympa/arc/rda-l/2016-04/msg00024.html
    http://lists.ala.org/sympa/arc/rda-l/2016-04/msg00029.html
    Der ganze Thread ist interessant; Sie können ihn im Archiv verfolgen.

    Viele Grüße
    Heidrun Wiesenmüller

  • #8

    Parkhotel Hannover (Mittwoch, 09 November 2016 14:48)

    Dankeschön für dien Beitrag - er hilft mir enorm bei meiner Arbeit weiter!
    Ich denke der FRBR geht in die richtige Richtung, mehr nicht-bibliothekarische Einrichtungen mit einzubinden.