In diesem zweiten Blog-Beitrag zum RSC Meeting (Teil 1 siehe hier) versuche ich mich an einem Puzzle-Spiel: Ich trage die mir bisher bekannt gewordenen Informationen zur geplanten Restrukturierung von RDA im Rahmen des 3R-Projekts ("RDA Toolkit Restructure and Redesign Project") zusammen, um daraus ein erstes Bild über die zu erwartenden Veränderungen zu gewinnen. Dieses Bild wird allerdings noch ein sehr unvollständiges sein, denn im Moment haben wir deutlich mehr Leerstellen als Puzzleteile. Über das 3R-Projekt habe ich schon vor über einem Monat einen Blog-Beitrag geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt war mir aber noch nicht klar, dass auch die Angleichung an das "Library Reference Model" (LRM), das künftige FRBR-Modell, Teil des Projekts sein wird. Sofern der jetzt festgelegte Zeitplan eingehalten wird (vgl. den Bericht von Renate Behrens auf S. 2), wird der Regelwerkstext im April 2018 ganz neu strukturiert sein, also vermutlich deutlich anders aussehen als bisher.
An den Anfang stelle ich ein dreifaches "Caveat":
- Die interessantesten Informationen dürfte es in den nicht-öffentlichen Teilen des RSC Meeting gegeben haben, die mir zwangsläufig entgangen sind. Die meisten meiner Erkenntnisse stammen aus einer Diskussion zu "FRBR-LRM and possible collaboration" (Punkt 28 auf der Tagesordnung), bei der die LRM-Herausgeberin Pat Riva über Online-Konferenz zugeschaltet war. Auch an anderen Stellen der Sitzung gab es immer wieder mal nützliche Hinweise, bei denen ich die Ohren gespitzt habe.
- Die Pläne befinden sich noch in einer frühen Phase. Ich gehe davon aus, dass die konkrete Ausgestaltung und die Details erst im kommenden Jahr festgelegt werden. Entsprechend wird vielleicht manches am Ende ganz anders umgesetzt, als ich es derzeit vermute.
- Ich kann nicht garantieren, dass ich alles richtig verstanden bzw. mir richtig zusammengereimt habe. Und natürlich sind alle geäußerten Ansichten meine ganz persönlichen und subjektiven Meinungen.
Stand von LRM
Beginnen wir mit dem Stand des künftigen FRBR-Modells, das wohl nicht "FRBR-LRM", sondern "IFLA-LRM" heißen wird. Über den im Frühjahr 2016 veröffentlichten Entwurf habe ich mehrere Blog-Beiträge geschrieben (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5). Auch in meinem Aufsatz Sacherschließung unter FRBR und RDA in Theorie und Praxis in o-bib 3/2016 kann man einiges darüber nachlesen. Hier nochmals die Entitäten-Struktur von LRM:
Während der Kommentierungsphase gingen umfangreiche Stellungnahmen ein, die die FRBR Review Group im Mai in einer mehrtägigen Sitzung in Paris besprach. Die daraufhin überarbeitete Fassung wurde im August in einer eintägigen Sitzung auf der IFLA-Tagung in Columbus nochmals von der Gruppe diskutiert. Informationen dazu gibt es im IFLA Metadata Newsletter vom Juni 2016 (S. 27-29), im offiziellen Tätigkeitsbericht der Gruppe für die IFLA-Sitzung sowie in einem Blog-Beitrag des deutschen Mitglieds Anke Meyer-Heß.
Die derzeitige, in einem iterativen Verbesserungsprozess entstandene Version geht als nächstes an drei IFLA Sections (Cataloguing, Bibliography, Subject Analysis & Access) zur letztmaligen Kommentierung. Danach soll eine endgültige Fassung vorliegen, die dem IFLA Committee on Standards vorgelegt werden kann. Dieses prüft nicht inhaltlich, sondern nur in formaler Hinsicht, ob die Anforderungen an einen IFLA-Standard erfüllt sind. Mit der Veröffentlichung wird im zweiten Quartal 2017 gerechnet.
Das RSC arbeitet derzeit also noch mit einer Entwurfsfassung des künftigen Standards, an der sich aber wahrscheinlich inhaltlich nichts mehr ändern wird. Mir selbst liegt diese Fassung leider nicht vor. Im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf gab es wohl gewisse Änderungen; die grundsätzliche Struktur und die Definition der Entitäten scheint aber nicht mehr in Frage gestellt worden zu sein. Dies bedeutet u.a., dass die Entität "Person" merklich anders definiert ist als in RDA: Im LRM bezieht sie sich ausschließlich auf reale Menschen. Entsprechend wurde auf dem RSC Meeting gesagt, dass an die Stelle der bisherigen RDA-Entität "Person" die neue LRM-Entität "Person" (mit ganz anderer Definition) treten wird.
"Full alignment with LRM"
Das RSC hat beschlossen, RDA vollständig mit dem LRM in Einklang zu bringen. Dies heißt freilich nicht, dass RDA künftig sozusagen identisch mit dem LRM sein wird. Dazu gibt es zwei interessante Grundsatzvorträge, einen von Pat Riva (Building RDA using the FRBR Library Reference Model) und einen vom RSC-Vorsitzenden Gordon Dunsire (IFLA FRBR-Library Reference Model and RDA). Vor allem im Beitrag von Pat Riva wird deutlich herausgearbeitet, dass sich ein Regelwerk als konkrete Anwendung durchaus vom zugrunde liegenden Modell unterscheiden kann und soll.
Insbesondere wird das Regelwerk vielfach eine größere Granularität und Detailliertheit aufweisen als das abstrakte Modell. Ein Beispiel ist die LRM-Entität "Kollektiver Agent", die sowohl Körperschaften als auch Familien umfasst. In Frankfurt wurde gesagt, dass dies für RDA nicht ausreichend sei. Vielmehr müsse auch zukünftig zwischen Körperschaften und Familien unterschieden werden (da z.B. bestimmte Beziehungen nur bei Körperschaften möglich sind, nicht aber bei Familien). Folglich wird unterhalb von "Kollektiver Agent" sozusagen noch eine weitere Hierarchie-Ebene mit "Körperschaft" und "Familie" eingezogen werden müssen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man für RDA ganz auf den "Kollektiven Agent" verzichtet und an dieser Stelle nur die untere Ebene implementiert.
Ähnliches gilt für das Attribut "Manifestation statement". Im LRM steht dies für alles, was man von einer Manifestation abschreibt. In einem Regelwerk muss das "Manifestation statement" notwendigerweise weiter aufgefächert werden, um die verschiedenartigen Informationen in getrennten Elementen abzudecken. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich dabei auch die Terminologie etwas ändern wird: Es wird dann vermutlich nicht mehr vom "Title" oder dem "Place of publication" gesprochen werden, sondern vom "Title statement" und dem "Place of publication statement". Tatsächlich sprach Gordon Dunsire auf der Sitzung einmal von einem "Regional encoding statement" (bisher nur "Regional encoding").
Konkrete Auswirkungen
Dass sich die bisherige Struktur von RDA stark verändern wird, liegt auf der Hand. Die neue Makrostruktur sollte im nicht-öffentlichen Sitzungsteil des RSC am vergangenen Freitag beschlossen werden. Ich hoffe, dass diese neue Struktur bald bekanntgegeben wird.
Bei den Entitäten der bisherigen FRBR-Gruppe 3 wird es gewiss deutliche Änderungen geben: Ich gehe davon aus, dass "Begriff", "Gegenstand" und "Ereignis" ersatzlos gestrichen werden. Dies ist kein Verlust, da an diesen Stellen ohnehin nur Platzhalterkapitel standen. "Geografikum" wird bleiben, aber wohl an eine andere Stelle rücken. Und natürlich müssen einige ganz neue Entitäten eingebaut werden - nach meiner Einschätzung mindestens die Entitäten "Nomen" und "Zeitspanne", vermutlich auch die Top-level-Entität "Res" (die als Anker für die Sacherschließung benötigt wird).
Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, auch die LRM-Entität "Agent" (übergreifend für Personen, Familien und Körperschaften) mit einem eigenen Bereich zu bedenken, wenn das Regelwerk "LRMisiert" wird. Dann könnte man diejenigen Elemente, die für alle Arten von "Agenten" gültig sind, in einem allgemeinen Kapitel unterbringen. In den Kapiteln für "Person", "Familie" und "Körperschaft" müssten dann nur noch deren Spezifika ausgeführt werden. Und an den vielen Stellen, wo es derzeit heißt "eine Person, Familie oder Körperschaft", würde künftig nur noch stehen "ein Agent".
Die Integration der LRM-Entität "Nomen" wird, wie Gordon Dunsire in Frankfurt sagte, einen "major impact" auf RDA haben. Einige Merkmale, die für diese Entität geplant sind, kann man in einem Papier der Technical Working Group (RSC/TechnicalWG/1) nachlesen - u.a. "Date of usage" und "Status of identification". Die Entität Nomen bezieht sich nicht nur auf Namen von Personen etc., sondern beispielsweise auch auf Titel von Manifestationen oder Werken. Solche Informationen wurden bisher als Merkmale aufgefasst (der Name ist ein Merkmal der Person, der Haupttitel ist ein Merkmal der Manifestation etc.). Künftig werden sie aber als Beziehungen zu modellieren sein, also z.B.: "PERSON → hat Name → NOMEN oder "MANIFESTATION → hat Haupttitel → NOMEN". Wie man sieht, bringen die neuen Entitäten natürlich auch neue Beziehungen mit sich.
Sollte es bei der grundsätzlichen Zweiteilung des Regelwerks in Merkmale und Beziehungen bleiben, dann müssten die einschlägigen Regeln über Namen von Personen oder Titel von Manifestationen und Werken also in ein Beziehungskapitel wandern. Vielleicht sieht die neue Struktur aber auch ganz anders aus. Gut vorstellbar wäre eine Gliederung nach den Entitäten, bei denen dann jeweils sowohl die Merkmale als auch die möglichen Beziehungen beschrieben werden. Aber das ist im Moment reine Spekulation.
Auch an anderen Stelle werden Informationen, die bisher als Merkmale galten, zu Beziehungen werden: Ein Geburtsdatum wird gemäß der LRM-Logik als Beziehung zwischen einer Person und einer Zeitspanne modelliert werden (PERSON → hat Geburtsdatum → ZEITSPANNE), entsprechend ein Geburtsort als Beziehung zwischen einer Person und einem Geografikum ("PERSON → hat Geburtsort → GEOGRAFIKUM). Dies braucht uns nicht zu erschrecken; schließlich verknüpfen wir in der GND schon seit langem Personen mit Normdatensätzen von Geografika.
Und was passiert mit dem Regelwerkstext selbst? Vielfach werden die Änderungen sicher nur darin bestehen, dass vorhandene Texte von ihrer bisherigen Position in der alten FRBR-Struktur an eine andere Position in der neuen LRM-Struktur verschoben werden. Gordon Dunsire sagte: "The existing guidance and instructions will be preserved." Es geht also nicht darum, die Regeln selbst zu verändern. Jedoch werden wir uns an die neue Struktur gewöhnen müssen. Dies bedeutet nicht zuletzt, dass die mittlerweile einigermaßen vertrauten Nummern von Regelwerksstellen nicht mehr gelten werden. Es soll jedoch (zumindest für eine Übergangszeit) eine Konkordanz zwischen alter und neuer Nummerierung geben.
Wie das neue Nummerierungssystem aussehen wird, ist noch offen. Ich halte es für durchaus denkbar, dass man von einem reinen Zahlenschema abgeht. Einige Ideen dazu hat der Vorsitzende vor einiger Zeit in einer Mail an die RDA List geäußert. (Hinweis zum Archiv der RDA List: Nach dem ersten Klicken auf den Link muss man zuerst "Ich bin kein Spammer" bestätigen. Danach landet man leider nicht bei der gewünschten Mail, sondern immer auf der letzten Seite des Archivs. Dann einfach nochmals den ursprünglichen Link anklicken.)
Auch bei den Beziehungskennzeichnungen erwarte ich größere Änderungen. Formal sind sie gemäß dem LRM als Unterelemente der entsprechenden Beziehung zu betrachten. "Herausgeber" wäre dann beispielsweise eine Verfeinerung von "AGENT → hat geschaffen → EXPRESSION". In einem Papier der Relationship Designators Working Group für das RSC Meeting (RSC/RelationshipWG/1) wurde u.a. auch die Anordnung der Beziehungskennzeichnungen im Toolkit diskutiert (S. 13f.): "The basic groupings of elements and designators based on the original FRBR groups are not compatible with the LRM" (S. 13). Vorgeschlagen wurde stattdessen, die Beziehungskennzeichnungen zunächst nach der Entität zu gruppieren, auf die sie sich beziehen (Domain). Als zweite Gliederungsstufe würde man die Entitäten verwenden, welche das Ziel (Range) der Beziehung sind.
Beim Werk könnte die Gliederung dann so aussehen:
Werk → Res
Werk → Werk
Werk → Expression
Werk → Manifestation
Werk → Exemplar
Werk → Agent
Werk → Person
Werk → Kollektiver Agent (sofern diese Entität in RDA implementiert wird)
Werk → Körperschaft
Werk → Familie
Werk → Nomen
Werk → Geografikum
Werk → Zeitspanne
Ein weiterer Punkt, der sich mit der Ausrichtung am LRM ändern dürfte, ist die theoretische Fundierung von Pseudonymen. Bisher waren diese ein bestimmter Typ von Person (denn die RDA-Definition von "Person" umfasst ja auch eine Identität, die sich jemand gibt). Unter LRM handelt es sich bei einem Pseudonym hingegen nur um ein Nomen, das mit einer Person (d.h. nach LRM: einem realen Menschen) in Beziehung steht. Ich nehme an, dass sich an der tatsächlich Praxis nichts ändern wird - dass also weiterhin mit gesplitteten Datensätzen gearbeitet werden kann (zumindest, wenn man dies so möchte). Aber die Modellierung im Regelwerk dürfte auf alle Fälle anders aussehen als bisher.
Weitere Änderungen
Zusätzlich zu den Änderungen, die sich aus der Ausrichtung am LRM ergeben, plant das RSC einige weitere grundsätzliche Neuerungen in RDA. Dazu gehört der neue "four-fold path" (vierfacher Weg), um eine Beziehung auszudrücken. Das Konzept wurde bereits im vergangenen Jahr vorgestellt (6JSC/TechnicalWG/6). Auch bisher sieht RDA an manchen Stellen (z.B. in RDA 24.4, wo es um die Beziehung zwischen mehreren WEMI-Entitäten geht) vier Möglichkeiten vor, um eine Beziehung zu erfassen:
- unstrukturierte Beschreibung
- strukturierte Beschreibung
- normierter Sucheinstieg
- Identifikator
Beim neuen vierfachen Weg fallen die strukturierte Beschreibung und der normierte Sucheinstieg zusammen, und es wird zusätzlich die Erfassung eines URIs ermöglicht:
- unstrukturierte Beschreibung: nur für Menschen gedacht, nicht maschinell interpretierbar
- strukturierte Beschreibung (was auch einen normierten Sucheinstieg einschließt): nur mit Aufwand maschinell interpretierbar
- Identifikator: weniger für den Menschen als für die Maschine gedacht
- URI: zur Verwendung in der Linked-data-Welt
Hier sieht man zwei wichtige Trends bei der RDA-Entwicklung: Zum einen werden normierte Sucheinstiege an Bedeutung verlieren. Ich halte es sogar für denkbar, dass die Regeln zur Bildung von normierten Sucheinstiegen ganz aus dem Regelwerk verschwinden. Wer noch Bedarf daran hat, müsste dies dann über entsprechende Anwendungsrichtlinien regeln. Zum anderen besteht ein erklärtes Ziel darin, RDA besser auf eine Linked-data-Umgebung abzustimmen und auch attraktiver für die Linked-data-Community zu machen. Dies ist grundsätzlich sicher zu begrüßen - allerdings dürfen dabei die Bedürfnisse der "normalen KatalogisiererInnen" nicht aus den Augen verloren werden. Und man darf auch nicht vergessen, dass wir uns noch immer ganz überwiegend in einer Umgebung bewegen, die eben nicht von RDF, sondern von MARC bestimmt wird.
An RDA in seiner jetzigen Gestalt wurde außerdem kritisiert, dass häufig dieselbe Sache an verschiedenen Stellen wiederholt wird. Das "neue RDA" soll schlanker werden, indem solche Dinge nur noch ein einziges Mal an einer allgemeinen Stelle gesagt werden - gemäß dem Prinzip "to generalize everything that can be generalized" (Gordon Dunsire). Auch von allgemeinen Aufräumungsarbeiten im Regelwerk ("removing clutter") war auf der Sitzung öfter die Rede. Genannt wurden beispielsweise "Pseudo-Elemente" - d.h. Dinge, die aufgrund der Präsentation im Toolkit so aussehen, als wären sie ein eigenes Element, de facto aber gar keines sind. Beispiele dafür sind RDA 6.14 (Titel eines Musikwerks) oder 6.20 (Datum eines juristischen Werks) etc. Hier wurden sozusagen "parallele Universen" für bestimmte Arten von Werken aufgebaut, denn eigentlich gehört dies unter RDA 6.2 (Titel eines Werks) bzw. 6.4 (Datum des Werks). Auch diese Bereiche werden also sicher künftig anders strukturiert werden (aber keine Sorge - die Inhalte selbst werden gewiss erhalten bleiben).
Neu diskutiert werden soll außerdem, ob RDA weiterhin Kernelemente vorsehen soll oder ob die Festlegung von verpflichtenden Elementen vollständig in "application profiles" (d.h. in die Anwendungsrichtlinien der verschiedenen Communities) verlagert werden soll. Auch den verschiedenen Beschreibungsarten (umfassend, analytisch, hierarchisch) will man sich nochmals widmen. Vielleicht bedeutet dies auch, dass die hierarchische Beschreibung besser ausgearbeitet wird - das wäre für uns sehr nützlich. In das "neue RDA" soll außerdem eine veränderte Sicht auf Aggregate integriert werden, und zwar gemäß den Vorschlägen der Aggregates Working Group (RSC/AggregatesWG/1). Dies wird nach meiner Einschätzung erhebliche Auswirkungen haben, auch auf die Expressionsebene (das erkläre ich dann im nächsten Blog-Beitrag).
Persönliche Einschätzung
Da RDA auf FRBR basiert, war natürlich von Anfang an klar, dass eine Änderung am theoretischen Modell auch Änderungen an RDA nach sich ziehen würde. Die Entscheidung, RDA an das LRM anzugleichen, ist deshalb nicht überraschend. Sehr wohl überraschend finde ich allerdings das Tempo, das vorgelegt wird: Die konkreten Arbeiten beginnen, obwohl der neue Standard noch nicht einmal offiziell "abgesegnet" ist. Und die Transformation soll mit geradezu schwindelerregender Geschwindigkeit vor sich gehen. Ob der sehr ambitionierte Zeitplan tatsächlich eingehalten werden kann, wird sich zeigen. Man muss aber gewiss davon ausgehen, dass beim ersten "LRM-Release" von RDA noch nicht alle geplanten Änderungen umgesetzt sein werden. Gordon Dunsire sagte: "We will align RDA as far as possible with the LRM in the limited time space available".
Um keine Zeit zu verlieren, werden die Änderungen im Rahmen des 3R-Projekts nicht in den normalen "consultation process" eingehen. D.h. es wird keine Möglichkeit geben, die neuen Texte im Vorfeld zu kommentieren und Verbesserungsvorschläge zu machen. Das macht mir schon etwas Sorge, denn dadurch steigt m.E. das Risiko, dass es zu Fehlern kommt oder etwas übersehen wird. Die Community soll laut dem RSC-Vorsitzenden auf andere Weise eingebunden werden - insbesondere will das RSC intensiv über die Aktivitäten im Projekt informieren. In der Sitzung hob Gordon Dunsire es auch als positiv hervor, dass die Oberserver fleißig Notizen machten, und äußerte die Erwartung, dass die Informationen aus der Sitzung weitergegeben werden (was ich gerade tue). Es klang auch so, als ob evtl. Nicht-RSC-Mitglieder in das Verfassen neuer Regelwerkstexte eingebunden werden könnten. Na, ob sich dafür viele Freiwillige finden werden?
Für uns, die wir gerade erst auf RDA umgestiegen sind, ist der Zeitpunkt des neuerlichen Wandels sicher nicht sehr günstig. Es wäre besser gewesen, wenn wir zunächst in Ruhe einige Jahre mit dem bisherigen Regelwerk hätten arbeiten und unsere Katalogisierungspraxis konsolidieren können, ehe der nächste große Schritt bei der Entwicklung getan wird. Aber wir müssen uns nun eben daran gewöhnen, dass wir die Steuerung der Regelwerksentwicklung nicht mehr wie früher selbst in der Hand haben.
Grundsätzlich halte ich es für positiv, wenn sich ein Regelwerk weiterentwickelt. Es ist ja häufig beklagt worden, dass RDA nicht ausreichend "modern" sei. In der Tat war es am Anfang nicht viel mehr als ein neu angeordnetes AACR2. Seither hat es schon einige positive Weiterentwicklungen gegeben. Vielleicht ist das 3R-Projekt nun der entscheidende Schritt in die Moderne? Wir dürfen gespannt sein!
Heidrun Wiesenmüller
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Karin Patzer (Donnerstag, 17 November 2016 15:07)
Liebe Frau Wiesenmüller, ganz herzlichen Dank für die Aufbereitung dieses schwierigen Themas! Mein Drucker arbeitet schon, viele Grüße Karin Patzer (ZDB)