Festschrift für Petra Hauke mit drei Aufsätzen zu RDA

Die umtriebige Petra Hauke (Berlin) feierte am 13. November vergangenen Jahres ihren 70. Geburtstag. Konrad Umlauf, Klaus Ulrich Werner und Andrea Kaufmann haben aus diesem Anlass eine fast 500 Seiten starke Festschrift herausgegeben, die kurz vor Weihnachten 2016 unter dem Titel Strategien für die Bibliothek als Ort bei De Gruyter erschienen ist. Im Buch war übrigens schon das Copyright-Jahr 2017 eingedruckt - mit diesem (ermittelten) Erscheinungsjahr sollte es daher katalogisiert werden (vgl. RDA 2.8.6.3 D-A-CH). Gemäß der Interessensgebiete von Frau Hauke ist auch das Thema RDA vertreten - und zwar mit nicht weniger als drei Beiträgen, wie man im (frei zugänglichen) Inhaltsverzeichnis sehen kann:

Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis der Festschrift für Petra Hauke
Ausschnitt aus dem Inhaltsverzeichnis der Festschrift für Petra Hauke

Ein Jahr nach Erscheinen der Verlagsausgabe sollen die Beiträge aus der Festschrift auch Open Access auf dem edoc-Server der Humboldt-Universität publiziert werden. Meinen eigenen Beitrag kannte ich ja schon, aber jetzt bin ich endlich dazu gekommen, auch die beiden anderen zu lesen.

Ulla Wimmer: When Global Meets Personal - Überlegungen zur Einführung von RDA aus Sicht der Standardisierungsforschung

Hier das Abstract zum Aufsatz von Ulla Wimmer:

"Der Beitrag wirft eine Reihe von Fragestellungen auf, die aus Sicht der Standardisierungsforschung beim Regelwerkswechsel von RAK nach RDA untersuchenswert sind. Sie reichen von der Frage, wann sich ein Metadatenstandard durchgesetzt hat und wie er gesteuert wird bis zur konkreten Anwendung des Standards im Arbeitsalltag von Tausenden von Bibliothekaren und der Frage, wie sie den Standard bei der Umsetzung in ihre lokale Praxis transformieren. Der Beitrag beschreibt dabei Skizzen und Ansatzpunkte für künftige Untersuchungen."

Mir hat die Lektüre einige Anregungen gegeben. So war mir beispielsweise überhaupt nicht bewusst, dass es eine eigenständige "Standardisierungsforschung" gibt. Wimmer erläutert auf S. 282: Die Standardisierung bibliografischer Daten sei "ein hervorragender Gegenstand, um Fragen der Standardisierung im Bibliotheks- und Informationsbereich zu untersuchen". Dabei gehe es "auch um Fragestellungen, die in ihrer Bedeutung für Standardisierungsprozesse über den Bibliotheksbereich hinaus relevant sein können. Umgekehrt hilft die junge Disziplin der Standardisierungsforschung ("standardization studies") mit ihren Forschungsergebnissen aus den letzten 20-25 Jahren, die Vorgänge im Bibliotheksbereich besser zu verstehen. Kombiniert man Standardisierungsforschung und Bibliotheks- und Informationswissenschaft, können Standardisierungsprozesse künftig hoffentlich besser erklärt, erfolgreicher gestaltet, und ihre Wirkung und Bedeutung besser eingeschätzt werden."

Bei der Lektüre hätte ich mir zugegebenermaßen manchmal gewünscht, dass der Beitrag nicht nur mögliche Untersuchungsgegenstände beschreiben, sondern bereits Ergebnisse dazu liefern würde - aber das wäre zum jetzigen Zeitpunkt wohl zu viel verlangt. Aus den vielen von Wimmer skizzierten Fragen picke ich mir im Folgenden einige heraus. So fragt Wimmer auf S. 287f., "wie und warum" sich RDA eigentlich als Standard durchgesetzt habe: "Was waren oder sind Konkurrenten oder Alternativen zu RDA? Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt - wenn nicht schon einen "Standardisierungskrieg" - dann zumindest Wendepunkte, an denen für die Durchsetzung von RDA kritische Entscheidungen gefällt wurden? Wie sahen diese Entscheidungen aus? Wie gestaltete sich damals und derzeit das Verhältnis zu angrenzenden und potenziell konkurrierenden Standards und Gremien, z.B. ISBD, ISSN u.ä.?" Diese Fragen müssten "mit vorwiegend historischer Methodik" untersucht werden; Wimmer nennt die "Auswertung des öffentlich geführten Fachdiskurses, [von] programmatischen Dokumenten, Protokollen, ggf. ergänzt durch einzelne Experteninterviews mit relevanten Akteuren". Ein möglicher "Bezugsrahmen" seien Studien, "die sich mit Erfolgsfaktoren für Standardisierungsprozesse befassen oder die Diffusions- bzw. Adaptionsprozesse von Standards untersuchen", und die "in der Regel auf betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen oder machtsoziologischen Theorien" beruhen." Ich muss gestehen, dass ich bisher noch nicht auf den Gedanken gekommen war, den Umstieg unter dem Aspekt der Machtsoziologie zu betrachten ;-)

Auf S. 289 geht es um die Frage, ob bzw. wie die deutsche Community die internationale Entwicklung beeinflussen könne und wie etwaige "Allianzen und Konflikte" verlaufen würden ("[e]ventuell (...) gar nicht (nur) entlang nationaler Linien, sondern auch zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen, Bibliothekssparten, Verwaltungssystemen, Größenklassen?"). Es sei "eine detaillierte Analyse von Governance-Regeln notwendig, um hier Macht- und Einflussverhältnisse von bestimmten Gruppen tatsächlich bestimmen zu können." Ich bin allerdings eher skeptisch, ob man bei einer wissenschaftlichen Untersuchung "den Einfluss der Gruppierungen auf den Gestaltungsprozess" wirklich anhand "der Protokolle von Entscheidungen, der Änderungsvorschläge und ihrer Annahme/Ablehnung" feststellen könnte. Gerade wenn es um die Bildung von Allianzen und die Ausübung von Einfluss geht, gibt es m.E. vieles, was sich nicht in schriftlichen Dokumenten niederschlagen wird. Denn entscheidender als eine Diskussion in einem Gremium dürfte oft das gewesen sein, was sich vielleicht bei einem Telefonat im Vorfeld oder in einer Kaffeepause zwischen einzelnen Akteuren abgespielt hat. Auch zeichnen Protokolle ja oft nur das Ergebnis nach und nicht die gesamte Diskussion, und bei Abstimmungen wird meist nur die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen protokolliert und nicht genau, wer wofür gestimmt hat. Auch Ulla Wimmer scheint hier etwas am Zweifeln zu sein, wenn sie weiter schreibt: "Das inkludiert die Frage, wie transparent und reguliert der Überarbeitungsprozess verläuft."

Zu untersuchen wären nach Wimmer auch die Details der Umsetzung im deutschsprachigen Raum (S. 290): "Je tiefer sich der Standard auswirkt, umso interessanter wird die Frage, wie genau sich eigentlich die Veränderung einer komplexen und weitverzweigten Infrastruktur vollzieht, was also alles tangiert wird, wenn ein so grundlegender Systemwechsel in einem Feld stattfindet. (...) Es geht dabei um Auswirkungen, die sich bis in die Systeme der kleinsten nebenamtlich geführten Bibliothek und bis in das Kompetenzprofil jeder angehenden Bibliotheksfachkraft erstrecken. Er betrifft die Gestaltung von Ausbildungsplänen, Datenbankstrukturen, Stellenbesetzungen, Systemschnittstellen, Software-Implementationen, von Suchmasken und Hilfeseiten, von Fortbildungsbudgets und Schulungsangeboten. Sie nachzuzeichnen ist eine Aufgabe, die hilft, Veränderungsprozesse planbarer zu machen und kritische Erfolgsfaktoren besser zu kennen." Nett ist in diesem Zusammenhang der Satz: "Kann sich überhaupt irgendjemand, der in einer Bibliothek arbeitet, sei es vor oder hinter den Kulissen, leisten, nichts über RDA zu wissen?" (S. 290).

Ein weiteres Forschungsfeld macht Wimmer in möglichen Konflikten zwischen dem neuen Standard und eigenen Bedürfnissen aus (S. 291): "Wie entscheiden sich die Akteure vor Ort, wenn es um die Abwägung "eigener Nutzen" versus "Anschlussfähigkeit ans System" geht? Es wäre zu untersuchen, wie die Akteure im Konfliktfall diese Güter abwägen, wie und warum sie die Entscheidung für eine der beiden Optionen treffen oder wie sie einen Konflikt anderweitig auflösen. Untersuchungen in diesem Bereich müssten sich durch große Nähe zu den untersuchten Personen und einen strikt qualitativen Methodenrahmen auszeichnen." Die Akteure sind hier allerdings vielfältig und haben nach meinem Eindruck auch nicht immer dieselbe Meinung. So unterscheidet sich gewiss die Sicht katalogisierender Praktiker von denen ihrer Vorgesetzten, und eine Verbundzentrale muss naturgegebenermaßen andere Dinge im Blick haben als eine einzelne Bibliothek. Und ob alle Beteiligten gegenüber einer externen Person, die solche Vorgänge untersuchen möchte, "aus dem Nähkästchen plaudern" können und wollen, weiß ich nicht.

Jedenfalls bin ich gespannt, ob man aus dem IBI der Humboldt-Universität, wo Ulla Wimmer tätig ist, bald entsprechende Arbeiten zu Gesicht bekommen wird.

Heidrun Wiesenmüller, Zeitenwende in der Katalogisierung - vom RAK- zum RDA-Unterricht

Hier das Abstract zu meinem eigenen Beitrag in dem Band:

Der Beitrag beschreibt die Umstellung der Lehre vom bisherigen Katalogisierungsregelwerk RAK auf den neuen Standard RDA im Studiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement an der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM). Schon seit langem wurden Informationen zu RDA in den Unterricht integriert. Seit 2014/15 beginnen die Studienanfänger mit RDA; für die "Umsteiger", die noch mit RAK begonnen hatten, gibt es besondere Angebote. Das zugrundeliegende FRBR-Modell stellt die Studierenden kaum vor Probleme. Jedoch lassen sich viele Aspekte von RDA in realen Erfassungsformaten nur schwer erkennen, weshalb im Unterricht teilweise mit formatfreien Katalogisaten in tabellarischer Form gearbeitet wird. Anders als RAK bietet RDA den Katalogisierern viele Ermessensspielräume, worauf man sich im Unterricht einstellen muss. Die älteren Standards RAK und ISBD spielen in der Lehre nur noch eine untergeordnete Rolle.

Der Ausgangspunkt dafür waren meine beiden Vorträge vom Nürnberger Bibliothekartag 2015: Das neue Regelwerk in der Lehre - Tipps und Tricks für das praktische Arbeiten mit RDA und Von Verantwortlichkeitsangaben, normierten Sucheinstiegen und Beziehungskennzeichnungen - erste Erfahrungen mit RDA in der Lehre. Geschrieben habe ich den Text im April 2016. Bis dahin hatte ich natürlich noch weitere Erfahrungen sammeln können, sodass der Beitrag gegenüber dem Stand der Vorträge von 2015 nicht nur erweitert, sondern auch aktualisiert werden konnte.

Zum einen ging es mir darum, die einzelnen Schritte im Umstellungsprozess in der Lehre am Beispiel der HdM zu dokumentieren, zum anderen beschreibe ich konkrete Erfahrungen aus dem Unterricht. Relativ ausführlich gehe ich darauf ein, warum im Unterricht sowohl mit formatfreien Tabellen als auch mit einem Echtformat gearbeitet werden sollte - dies halte ich weiterhin für sehr wichtig, auch wenn es leider sehr zeitaufwendig ist. Beschäftigt habe ich mich außerdem mit der Frage, wie man im Unterricht und in Prüfungen mit optionalen Regelungen u.ä. umgehen sollte. Außerdem berichte ich, inwieweit ich noch auf die ISBD und auf RAK eingehe. Der Aufsatz dürfte vor allem anderen Lehrenden sowie Kolleginnen und Kollegen, die in der Ausbildung aktiv sind, etwas bringen, ist aber vielleicht auch für andere von Interesse.

Anna Bohn, Agent 007 im Visier von FRBR und RDA - Perspektiven internationaler Standardisierung für das
Katalogisieren von Filmen

Der dritte einschlägige Beitrag in der Festschrift kommt von Anna Bohn, der Leiterin des Referats Filmbibliothek der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Hier das Abstract:

Die Einführung des internationalen Regelwerks Resource Description and Access (RDA) bietet neue Perspektiven für die Erschließung von Filmen. Auf der Suche nach James Bond 007 werden beispielhaft Probleme in der gegenwärtigen Praxis der Katalogisierung und Zugänglichmachung von Filmen skizziert. Tragen die RDA-Anwendungsrichtlinien für den deutschsprachigen Raum D-A-CH in der derzeitigen Form den Erfordernissen des Mediums Film ausreichend Rechnung? Der Beitrag plädiert für eine Überprüfung und Ergänzung der Anwendungsrichtlinien, um audiovisuelle und multimediale Inhalte angemessen zu verzeichnen und darüber hinaus die institutionenübergreifende Vernetzung von Beständen und Sammlungen in Bibliotheken, Archiven und Museen zu ermöglichen.

Der Beitrag ist gerade für Nicht-Filmspezialisten von großem Interesse. Mit einigen Aspekten daraus möchte ich mich näher auseinandersetzen und werde dies heute oder morgen in einem eigenen Blog-Beitrag tun.

Heidrun Wiesenmüller

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