In meinem letzten Blogbeitrag habe ich die drei Aufsätze zum Thema RDA aus der Festschrift für Petra Hauke schon kurz vorgestellt. Mit dem Beitrag von Anna Bohn, der Leiterin des Referats Filmbibliothek der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, mit dem Titel Agent 007 im Visier von FRBR und RDA - Perspektiven internationaler Standardisierung für das Katalogisieren von Filmen möchte ich mich im Folgenden etwas ausführlicher beschäftigen.
Hier nochmals das Abstract:
"Die Einführung des internationalen Regelwerks Resource Description and Access (RDA) bietet neue Perspektiven für die Erschließung von Filmen. Auf der Suche nach James Bond 007 werden beispielhaft Probleme in der gegenwärtigen Praxis der Katalogisierung und Zugänglichmachung von Filmen skizziert. Tragen die RDA-Anwendungsrichtlinien für den deutschsprachigen Raum D-A-CH in der derzeitigen Form den Erfordernissen des Mediums Film ausreichend Rechnung? Der Beitrag plädiert für eine Überprüfung und Ergänzung der Anwendungsrichtlinien, um audiovisuelle und multimediale Inhalte angemessen zu verzeichnen und darüber hinaus die institutionenübergreifende Vernetzung von Beständen und Sammlungen in Bibliotheken, Archiven und Museen zu ermöglichen."
Gerade Nicht-Filmspezialisten (zu denen ich mich auch zähle) können in dem Aufsatz viel Interessantes erfahren. Wer sich beispielsweise immer schon gefragt hat, warum die DNB vergleichsweise wenige Filme im Bestand hat (und folglich auch nicht viele Fremddaten für dieses Segment zur Verfügung stellt), kann den Grund hier nachlesen: Es liegt daran, dass bei der Novellierung des Gesetzes über die DNB "Filmwerke (...) ausdrücklich von der Pflichthinterlegung ausgenommen [wurden] - mit Ausnahme derjenigen Filmwerke, in denen die Musik im Vordergrund steht" (S. 321).
Anna Bohn beklagt, dass "die besonderen Erfordernisse audiovisueller Medien bei der Festlegung des Standard-Elemente-Sets und der Kernelemente bislang in den Anwendungsrichtlinien D-A-CH weitgehend unberücksichtigt blieben" (S. 330). Ich stimme ihr insofern zu, als wir m.E. in der AG RDA eine Themengruppe hätten haben sollen, die sich spezifisch mit Nichtbuchmaterialien beschäftigt. Nebenbei: Ich erlaube mir, den Ausdruck "Nichtbuchmaterialien" aus praktischen Gründen weiterhin zu benutzen, obwohl die Autorin überzeugend gegen ihn argumentiert (weil dadurch die Printpublikation als der Normalfall bzw. Standard dargestellt werde, "demgegenüber alles andere ex negativo in Referenz zu diesem Standard definiert wird", S. 320).
Eine solche spezielle Themengruppe wurde leider nicht eingerichtet, sodass filmspezifische Themen in anderen Gruppen mitbearbeitet werden mussten. Die D-A-CH-Erläuterung zur Beziehungskennzeichnung "Filmemacher" ist beispielsweise in der Themengruppe Werke entstanden (unter Einbezug von Filmspezialisten der DNB). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Aspekte, die für Filme wichtig gewesen wären, in der Arbeit der AG RDA unbeachtet geblieben sind. Zumindest haben wir uns aber bei den Dingen, die uns aufgefallen sind, sehr intensiv eingesetzt: In zwei der drei im letzten Jahr eingereichten Proposals ging es um Filme (vgl. dazu den Blogbeitrag). Die Proposals wurden allerdings erst nach dem Redaktionsschluss für die Festschrift veröffentlicht, konnten also von Frau Bohn gar nicht berücksichtigt werden.
Expressionen von Filmen
Ausführlich geht die Autorin auf unterschiedliche Expressionen von Filmwerken ein: "Expressionen eines Filmwerks sind z.B. unterschiedliche Schnittfassungen wie z.B. "extended cut", "director's cut" mit ggf. jeweils unterschiedlicher Laufzeit; Filme in unterschiedlichen Formaten, z.B. zweidimensional (2D) oder dreidimensional (3D), oder in unterschiedlichen (synchronisierten) oder untertitelten Sprachfassungen. Auch
Audiodeskriptionen von Filmen bzw. Hörfilme, d.h. akustische Bildbeschreibungen, die blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen sollen, Filme besser wahrzunehmen, stellen variante Fassungen bzw. Expressionen eines Filmwerks dar." (S. 324). Wichtig finde ich den Hinweis, dass dies durch die Ausgabebezeichnung nicht unbedingt abgedeckt ist, weil eine Ausgabe des Films z.B. mehrere Expressionen enthalten kann. Aber ich glaube, dass die Identifikation bzw. Unterscheidung von Expressionen eines Films durch die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Merkmale auf Expressionsebene (u.a. Inhaltstyp, Dauer, Sprache der Expression, Sprache des Inhalts, barrierefreier Inhalt, ergänzender Inhalt) mit RDA durchaus geleistet werden kann. Auf eine grundsätzliche Problematik bei der Zuordnung von WEMI-Ebenen bei Filmen komme ich weiter unten zu sprechen.
Geistiger Schöpfer von Filmen
Bei der Frage des geistigen Schöpfers von Filmen möchte ich die D-A-CH-Anwendungsrichtlinien gegenüber der im Aufsatz geäußerten Kritik in Schutz nehmen. Wenn ich Anna Bohn richtig verstehe, dann ist sie der Meinung, nicht das Regelwerk selbst, sondern nur die D-A-CH kämen zu dem Schluss, dass Regisseure keine geistigen Schöpfer von Filmen seien. Ich zitiere etwas ausführlicher aus S. 327-329:
"Den Regisseuren von Filmen wird laut RDA Anwendungsrichtlinien D-A-CH anders als den Verfassern von Druckwerken kein geistiges Schöpfertum der von ihnen geschaffenen Werke zugestanden. Regisseure werden wie Kameraleute als "eine sonstige Person, Familie, oder Körperschaft, die mit einem Werk in Verbindung steht, aber nicht der geistige Schöpfer ist" bezeichnet. (RDA Toolkit Anwendungsrichtlinien D-A-CH 19.3.1.1). Im Lehrbuch Basiswissen RDA heißt es dazu: "Bei 'normalen' Filmen gibt es keinen geistigen Schöpfer". Das anglo-amerikanische Regelwerk und die Anwendungsrichtlinien der Library of Congress hingegen sprechen allerdings davon, dass ein Regisseur nicht der hauptsächliche Schöpfer (principal creator) ist, da es sich bei Filmen in der Regel um kollaborative Schöpfungen handelt. (...) Da beim Film in den meisten Fällen von einer kollektiven Urheberschaft auszugehen ist, schließt der Begriff des Schöpfers (creator) für den Film auch Drehbuchautoren, Filmregisseure, Filmproduzenten und Produktionsfirmen ein. Die Aussage, Filme hätten keinen geistigen Schöpfer, steht auch in krassem Gegensatz zu urheberrechtlichen Bestimmungen. (...) Die Festlegung in den RDA-Anwendungsrichtlinien D-A-CH, Filme hätten keine geistigen Schöpfer, steht (...) auch in Widerspruch zu den Konventionen filmografischer Verzeichnung und zur Notwendigkeit, minimale Angaben zur Erschließung von Filmwerken zu erfassen, die eine eindeutige Identifizierung von Werken im Rahmen eines automatisierten Datenaustauschs oder Fremddatenimports ermöglichen."
Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Denn nicht die D-A-CH haben festgelegt, dass Regisseure und Produzenten unter 19.3 (Sonstige Person etc., die mit einem Werk in Verbindung steht) - und eben nicht unter RDA 19.2 (Geistiger Schöpfer) - fallen, sondern das Regelwerk selbst. "Regisseure, Kameraleute usw." sowie "Produktionsfirmen usw." werden explizit bei 19.3.1.1 aufgeführt; entsprechend findet man die zugehörigen Beziehungskennzeichnungen im Anhang I.2.2. Bei den Beziehungskennzeichnungen für geistige Schöpfer im Anhang I.2.1 ist das einzige, was für Filme einschlägig ist, der "Filmemacher" mit einer sehr engen Definition. (Die D-A-CH-Erläuterung an dieser Stelle versucht diese RDA-Definition nur "auszulegen", damit für die praktische Anwendung klar ist, in welchen Fällen man sie benutzt.) Zwar ist auch der Drehbuchautor im Anhang I.2.1 aufgeführt, darf aber gemäß Regelwerk nur dann als geistiger Schöpfer erfasst werden, wenn das Drehbuch selbst katalogisiert wird. Mit dieser Thematik haben wir uns ja ausführlich in einem der Proposals von 2016 beschäftigt, das leider im ersten Anlauf nicht erfolgreich war (vgl. dazu die Blogbeiträge vom 02.08.2016 und vom 15.11.2016). Als Zwischenlösung wurde zumindest in einem D-A-CH festgelegt, dass man die Beziehungskennzeichnung "Drehbuchautor" überhaupt verwenden darf, wenn man einen Film katalogisiert.
Natürlich streitet niemand ab, dass auch Filmwerke von jemandem geschaffen sein müssen - sie entstehen ja nicht von selbst. Insofern ist die zitierte Stelle aus dem Lehrbuch (sie findet sich auf S. 129, in der Tabelle der Beziehungskennzeichnungen für geistige Schöpfer als Hinweis beim Filmemacher) zugegebenermaßen etwas verkürzend. Wir hätten genauer schreiben sollen: "Bei Filmen gibt es keinen geistigen Schöpfer im Sinne von RDA 19.2". An anderer Stelle im Lehrbuch haben wir das klarer gemacht (S. 80): "Manche Werke können keinem geistigen Schöpfer zugeordnet werden. (...) In diesem Fall besteht der normierte Sucheinstieg für das Werk nur aus dessen bevorzugtem Titel (RDA 6.27.1.4). (...) Ebenso wird bei Filmen verfahren (RDA 6.27.1.3 Ausnahme). Denn an der Erschaffung eines Filmwerks sind so viele Personen und Körperschaften beteiligt, dass man nicht von hauptverantwortlichen geistigen Schöpfern sprechen kann."
Nach meinem Verständnis ist der Hintergrund schlicht und einfach, dass Filme in der angloamerikanischen Tradition traditionell die Haupteintragung unter dem Titel erhalten, was auch unter RDA so bleiben sollte. Allerdings wurde bekanntlich beim Übergang von AACR2 auf RDA das Konzept der Haupteintragung durch das des ersten geistigen Schöpfers (als Teil des normierten Sucheinstieg für das Werk) ersetzt. Folglich gab es für RDA zwei Möglichkeiten:
- Man definiert die in Frage kommenden Personen etc. (insbes. den Regisseur) zwar als geistige Schöpfer (listet sie also bei den Beziehungkennzeichnungen im Anhang I.2.1 auf), bestimmt aber gleichzeitig in einer Ausnahmeregelung, dass sie nicht Teil des normierten Sucheinstiegs sind.
- Man definiert die in Frage kommenden Personen etc. (insbes. den Regisseur) so, dass sie nicht unter RDA 19.2 fallen - damit ergibt sich automatisch, dass sie nicht Teil des normierten Sucheinstiegs sind.
Die Macher von RDA haben sich augenscheinlich für die zweite Option entschieden, weshalb wir Regisseure, Produzenten, Kameraleute und Produktionsfirmen bei den sonstigen Personen etc., die mit einem Werk in Verbindung stehen, finden. Den expliziten Hinweis bei RDA 6.27.1.3, dass der normierte Sucheinstieg bei Filmwerken nur mit dem bevorzugten Titel zu bilden ist, hätte es deshalb eigentlich gar nicht gebraucht. Vielleicht hat dies zur Verwirrung beigetragen.
Kleiner Exkurs: Ich gehe davon aus, dass die Frage der geistigen Schöpfer bei Filmen in näherer Zukunft neu aufgerollt wird, da sich die RSC Working Group on Aggregates des Themas angenommen hat. Es kann deshalb sein, dass Filme künftig als Aggregate (Zusammenstellungen) gelten sollen; dann wäre z.B. der Regisseur der geistige Schöpfer eines "Regie-Werks" innerhalb des Film-Aggregatwerks, der Drehbuchautor der geistige Schöpfer des "Drehbuch-Werks" etc. Ich persönlich halte diese Sichtweise allerdings für nicht angemessen. Denn damit etwas ein Aggregat sein kann, muss es ohne Weiteres möglich sein, die einzelnen Teile zu separieren. Beim Drehbuch oder der Filmmusik geht das noch, aber wie könnte man die Regie vom Rest des Films abtrennen?
Zusatzelemente für Filmwerke
Aber zurück zum Aufsatz. Vermutlich geht es Frau Bohn gar nicht um die Frage der Haupteintragung, sondern darum, dass die für Filme besonders wichtigen Personen und Körperschaften überhaupt erfasst werden. Ihre Sorge ist wohl, dass dies unterbleiben könnte, weil alles, was unter RDA 19.3 fällt, nicht als Zusatzelement festgelegt wurde. Ich persönlich hätte es zwar auch begrüßt, wenn RDA 19.3 in bestimmten Fällen zu einem Zusatzelement gemacht worden wäre (nicht nur bei Regisseuren, sondern beispielsweise auch bei gefeierten Personen), möchte aber dennoch Entwarnung geben: Denn es ist in der Praxis (zum Glück) nicht so, dass nur die Standardelemente erfasst werden würden.
In den Fokusgruppengesprächen, die ich im vergangenen Jahr geführt habe (vgl. Blogbeitrag) wurde dies sehr deutlich. Ich habe die Ergebnisse mittlerweile für o-bib ausformuliert; der Aufsatz wird Ende März erscheinen (in Heft 2/2017). Hier schon mal vorab die Zusammenfassung zur Bedeutung des Standardelemente-Sets:
"Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass das sogenannte Standardelemente-Set bei der praktischen Arbeit so gut wie keine Rolle spielt. Im Standardelemente-Set ist festgelegt, welche Elemente im deutschsprachigen Raum stets erfasst werden sollen - zusätzlich zu den sogenannten Kernelementen, die schon vom Regelwerk her als verpflichtend vorgegeben sind. Hier wird also das Erschließungsniveau definiert, das bei der intellektuellen Erschließung von Ressourcen mindestens erbracht werden soll. In die Erarbeitung dieser Vorgaben ist viel Zeit und Mühe geflossen, und um manche Punkte wurde heftig gerungen.
Die Befragten gaben jedoch fast ausnahmslos an, sich in der alltäglichen Arbeit nicht oder nur ganz selten am Standardelemente-Set zu orientieren: "Die Rückkoppelung mit dem Standardelemente-Set findet in meinem Kopf eigentlich nicht statt" oder "Ich wüsste keinen, der das Standardelemente-Set auf seinem Schreibtisch liegen hätte." Eher als Richtschnur dienen vorgefertigte Satzschablonen, z.B.: "Wir haben Schablonen mit den wichtigsten Feldern. Wenn man die ausgefüllt hat, gehe ich davon aus, dass das Standardelemente-Set erfüllt ist." Betont wurde auch die individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung der Nutzersicht: "Ich nehme auf, was ich habe und für sinnvoll halte." "
Ich bin deshalb zuversichtlich, dass die Autorin lange wird suchen müssen, um einen mit RDA katalogisierten Film zu finden, bei dem ein in der Ressource angegebener Regisseur nicht erfasst worden wäre.
Die hohe Bedeutung der FSK-Angabe, auf die Frau Bohn auf S. 330 hinweist, mag hingegen nicht allen Kolleginnen und Kollegen bewusst sein: "Beispielsweise ist für Filme die Alterskennzeichnung
gemäß § 12
Jugendschutzgesetz gesetzlich vorgeschrieben, die
Angaben müssen daher notwendigerweise
erfasst werden [und] sind als Kernelement zu betrachten." Sicher ist es dann sinnvoll, diese Informationen auch im Katalogisat zu haben (obwohl vermutlich die Kennzeichnung auf dem Medium selbst
ausreichend ist, um die gesetzlichen Erfordernisse zu erfüllen).
Aber erlauben Sie mir den Hinweis: Nirgendwo steht geschrieben, dass sich alles "unter dem Dach der D-A-CH" abspielen müsste (das Wortspiel konnte ich mir jetzt nicht verkneifen...). Die Anwendungsrichtlinien sollen den Grundbedarf abdecken; sie können nicht alle Arten von Materialien in gleicher Breite und Tiefe berücksichtigen. Deshalb möchte ich nicht nur die Filmspezialisten, sondern auch andere Anwendergruppen, die sich mit ihren besonderen Bedürfnissen in den D-A-CH nicht ausreichend wiederfinden, dazu ermutigen, selbst tätig zu werden: Suchen Sie sich Mitstreiter aus anderen Bibliotheken, erarbeiten und dokumentieren Sie eine sinnvolle Anwendungspraxis für Ihren speziellen Bereich und veröffentlichen Sie diese in Form von Empfehlungen oder Best practices! In anderen Ländern ist dies längst üblich: Im Aufsatz werden beispielsweise Empfehlungen der OLAC (Online Audiovisual Catalogers) für die Katalogisierung von DVDs und Blu-ray Discs sowie für Streaming Media unter RDA angeführt. Diese sind ja auch nicht Teil der LC-PCC PS, sondern wurden als zusätzliche Dokumente publiziert.
Bevorzugte Informationsquelle bei Filmen
Auch die D-A-CH-Regelung zu RDA 2.2.2.3 wird in dem Aufsatz diskutiert (S. 330f.):
"Bei Ressourcen, die aus bewegten Bildern bestehen, ist die bevorzugte Informationsquelle gemäß Grundregel RDA das Titelbild bzw. der Titelbildschirm (RDA 2.2.2.3). (...) Für die Anwendungsrichtlinien D-A-CH wurde indessen eine Alternativregel formuliert mit der Begründung, die Nutzung dieser bevorzugten Informationsquelle erscheine als zu aufwendig. Bei Filmen auf physischen Datenträgern sieht die Alternativregel vor, als bevorzugte Informationsquelle solle eine Beschriftung oder ein Etikett gelten, das auf der Ressource selbst fest angebracht oder z.B. direkt auf die DVD oder Blu-ray aufgedruckt ist. Für Filme ist diese Regelung allerdings nicht praktikabel, da es bei audiovisuellen Ressourcen, wie erwähnt, keine normierte Praxis des Titelblatts gibt. Aufdrucke auf DVD-Discs und Blu-ray Discs folgen nicht normierten Regeln, sondern Gesichtspunkten der grafischen Gestaltung oder des Marketing und bieten in der Regel wenig Information. Außerdem gibt es beidseitig bespielte Discs, bei denen nur ein schmaler Innenring mit minimalen Informationen bedruckt ist."
Über diese Kritik war ich etwas verblüfft. Denn wenn ich bei ÖB-Schulungen auf die RDA-Grundregel hinwies, führte dies stets zu großer Heiterkeit. Den Film beim Katalogisieren tatsächlich einzulegen und sich Bildschirm für Bildschirm durch den Vor- und Abspann zu arbeiten, konnte sich niemand als praktikabel vorstellen. Für die D-A-CH blieb uns deshalb gar nichts anderes übrig, als die in RDA vorgesehene Alternative anzuwenden - und die sieht nun mal die Verwendung des Aufdrucks bzw. Labels auf der Scheibe vor.
Aber vielleicht liegt auch hier ein Missverständnis vor. Denn die Definition des Etiketts als bevorzugte Informationsquelle bedeutet ja nicht, dass man nur dieses verwenden dürfte - sondern nur, das man diese Quelle als erste konsultieren muss. Im Lehrbuch haben wir dazu geschrieben (S. 40): "Die Informationen auf einer solchen Beschriftung sind in der Regel nur sehr knapp; oft steht nur der Titel darauf. Fehlende Informationen können dann anderen Informationsquellen entnommen werden, z.B. dem Behältnis". Zum Problem wird die Regel nur dann, wenn auf dem Etikett z.B. eine Titelfassung steht, die als Haupttitel nicht sinnvoll wäre. Eine Lösung dafür haben wir aber bereits im Februar 2016 in die D-A-CH eingebracht: Seitdem ist es möglich, statt des Labels das Behältnis als bevorzugte Informationsquelle zu verwenden, wenn das Label "offensichtlich nicht als bevorzugte Informationsquelle geeignet" ist (vgl. dazu den Blogbeitrag). Über ein Proposal haben wir außerdem versucht, dies auch im Regelwerk selbst zu verankern; das Thema wurde aber leider vertagt (vgl. die Blogbeiträge vom 02.08.2016 und vom 15.11.2016).
Beziehungskennzeichnung "Production Designer"
Abschließend geht Anna Bohn am Beispiel von Ken Adams, der bei verschiedenen James-Bond-Filmen für die Szenenbilder verantwortlich war, auf die Suchbarkeit solcher Personen ein (S. 334f.):
"Im Bestand der Filmsammlung in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin sind zahlreiche Filme ausleihbar, für die Ken Adam das Production Design verantwortete: (...). Da die Funktionsbezeichnung "Production Designer: Ken Adam" bzw. die entsprechende Beziehungskennzeichnung fehlt, sind die Filme zwar nach Titel und Regisseur recherchierbar, nicht aber mit einer Suche nach der Person Ken Adam."
Die entsprechende Beziehungskennzeichnung fehlt allerdings gar nicht, sondern ist seit mindestens 2015 (weiter bin ich nicht zurückgegangen) in RDA vorhanden: Man findet sie bei den Beziehungskennzeichnungen für Mitwirkende (Anhang I.3.1) - im Englischen als "production designer", im Deutschen als "Szenenbildner". Aber selbst wenn es keine genau passende Beziehungskennzeichnung gegeben hätte, dürfte man natürlich trotzdem eine Beziehung zu Ken Adams anlegen; in einem solchen Fall würde man gemäß RDA 18.5.1.3 D-A-CH den Namen des Elements als Beziehungskennzeichnung verwenden. Die Frage ist halt, ob man sich diesen Aufwand leisten kann und will.
Filme und FRBR-Ebenen
Anna Bohn plädiert auch für das verstärkte Einbringen von Werknormdatensätzen für Filme in die GND - ein Ziel, das man nur unterstützen kann. Sie schreibt weiter (S. 335): "Normdaten zu Werken
könnten um werkspezifische Angaben angereichert werden, die auch Funktionsbezeichnungen der an einem Filmwerk
mitwirkenden Personen und Körperschaften enthalten."
Die Autorin denkt hier z.B. an Personen wie Ken Adams. Das bringt uns zu einem interessanten Problem: Ein Werknormdatensatz sollte logischerweise nur Beziehungen zu Personen und Körperschaften aufweisen, die ebenfalls auf der Werkebene angesiedelt sind. Bei Regisseuren und Produzenten ist dies der Fall (sie werden, wie wir gesehen haben, unter RDA 19.3 eingeordnet), aber beispielsweise nicht bei Production Designern, Schauspielern und Kostümbildnern. Diese sind gemäß der Logik von RDA Mitwirkende, haben also keine Beziehung zum Werk, sondern zur Expression. Wir hatten diese Problematik im Drehbuchautor-Proposal angesprochen:
"Generally, we note that the distinction between work and expression level seems to be rather shaky for movies. For example, actors and costume designers are treated as contributors. This is quite plausible for theatre performances, as there can be several performances (expressions) of the same play with different actors and different costume designers. However, it is hard to envisage something similar for a movie: There cannot be a different expression of the movie with different actors or a different costume designer. Rather, shooting the "same" film with different actors or different costumes would probably lead to a new movie work. So it could be argued that, for movies, the roles of actors, costume designers and some others would be better placed on the work level than on the expression level."
Das Proposal wurde zurückgestellt, aber vielleicht wird das Thema im Rahmen der RDA-Überarbeitung angegangen. Bis dahin bleibt eigentlich nur zu konstatieren, dass die Anwendung von FRBR im Bereich der Filmwerke gewisse Tücken hat.
Damit soll es für heute genug sein - der Beitrag ist ohnehin schon viel länger geworden als gedacht.
Heidrun Wiesenmüller
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